Appenzell Ausserrhoden: Pioniergeist und Nostalgie
Das Schweizer Kanton Appenzell Ausserrhoden hält viele Überraschungen bereit. Sowohl Entdecker als auch Naturfreunde werden hier fündig. Ein Ausflug lohnt sich auf jeden Fall.
Heiden - In diesem Sommer werden es genau 150 Jahre seit den Anfängen des humanitären Völkerrechts, ein Abkommen zwischen den Mächten Europas. Erst 1882 kamen auch die USA dazu. Es geht um die erste Genfer Konferenz, die ein staatliches Abkommen über die „Linderung des Leides verwundeter Militärpersonen“ verabschiedet. Verwundete beider Seiten, egal ob Sieger oder Besiegte auf einem Schlachtfeld, sind gleich zu behandeln. Die Helfer sollen leicht unter ihrem Erkennungszeichen auszumachen sein: rotes Kreuz auf weißem Grund – nichts schien damals schneller griffbereit, einfacher, unverwechselbar und markanter als die umgekehrte Schweizer Flagge dafür auszuerkoren. Das Zeichen der Humanität war gewählt und besteht fortan international. Die Helfer und Sanitäter sind einerseits der Neutralität verpflichtet, andererseits stehen sie genau unter deren Schutz. In den darauffolgenden Jahrzehnten bis in die heutige Zeit werden noch weitere Genfer Konventionen folgen, um Inhalte anzupassen und Neuerungen einzubringen. Jeder Staat der Erde hat sie und ihre Beschlüsse mittlerweile anerkannt und unterschrieben. Und keinen Erdbewohner dürfte es mehr geben, der nicht vom Internationalen Roten Kreuz zumindest gehört hat.
Pioniergeist einer Errungenschaft
Die Gründung der größten Hilfsorganisation der Welt geht auf den eindringlichen Einsatz eines großen Protagonisten zurück. Der Schweizer Henry Dunant hat Weltgeschichte geschrieben. Auf einer Geschäftsreise 1859 in der Schlacht von Solferino im norditalienischen Krieg zwischen Franzosen und Österreicher sah er mit Schrecken die Leiden der unversorgt auf dem Schlachtfeld liegengebliebenen Verwundeten. Der unfreiwillige Augenzeuge strebte eine Veränderung in diesen brutalen Kriegsvergehen an und schaffte es 1863 in seiner Heimatstadt Genf das Komitee zu gründen, das die ein Jahr später stattfindende Genfer Konvention vorbereitete. Für all das erhielt Dunant 1901 den ersten Friedensnobelpreis. Da war er schon längst im Kur- und Ferienort Heiden beheimatet. Hier im Biedermeierdorf Heiden, hoch über dem Bodensee gelegen, verbrachte er die letzten 20 Jahre seines Lebens. Heute zeigen Ortsplan und Wegweiser den Weg zum Henry-Dunant-Museum. Das Museum erzählt von seinem wechselvollen Leben. Geschichten über Leben, Werk, Schicksalsschläge, gekonntes Weiterverfolgen und Umsetzen einer Vision. So manch eine Erinnerung an den Geschichtsunterricht kann hier eine Ergänzung finden. Übrigens erhielt 2010, hundert Jahre nach dem Tode des Nobelpreisträgers, das Museum eine Kopie der als einzig unbeschädigten aus den 1945er Trümmern geborgenen Angelus-Glocke von Nagasaki. Heiden ist stolz darauf. Denn nur die Städte werden berücksichtigt, die sich auch tatkräftig für die Friedensförderung einsetzen – so wird der Friedensgedanke weitergetragen.
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Eine Welt für Kinder
Nur rund zehn Kilometer weiter, oberhalb von Trogen, liegt das Kinderdorf Pestalozzi. Franziska Schärli von der Stiftung erläutert: „Die Kinderrechte sind eigentlich die Basis unserer Arbeit. Fast alle Länder der Erde haben die Kinderrechtskonvention unterschrieben, in der sie sich verpflichten, die Kinderrechte einzuhalten.“ Und schon steht man mitten im realen Leben, egal zu welcher Jahreszeit. Hier wurde eine Vision zur Wirklichkeit, ein internationales Hilfswerk ist entstanden. Eine Ausstellung mit eindrücklichen Bildern und Zeitdokumenten dokumentiert den Werdegang des Kinderdorfs von der Entstehung bis hin zu den aktuellen Tätigkeiten der Stiftung – das Besucherzentrum ist ein Museum der etwas besonderen Art. Vom Dorf für leidende Kinder – die ersten waren Kriegswaisen aus Europa –, wo sie wieder Kind sein durften, zu weltweit verzahnten Begegnungsorten für viele Kulturen. 220.000 Kindern und Jugendlichen weltweit werden Bildungschancen eröffnet; „sie sollen zu ihrem Recht kommen, das Recht auf Bildung, auf Schutz im Krieg, Kinder mit Behinderung zu fördern“ ergänzt Schärli. Entstanden ist die Einrichtung 1947 und geht zurück auf den Aufruf des Philosophen Walter Conti. Die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi fördert weltweit das friedliche Zusammenleben, Kinder und Jugendliche genießen Grund- und interkulturelle Bildung sowie Erziehung.
Heilkraft durch Kräuter, Luft und Wasser
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Auf der Weiterfahrt durchs kleine Appenzellerland gelangt man nach Teufen. Dort ist ein Besuch im Gesundheitszentrum A. Vogel angebracht. Hier wird leidenschaftlich und mit viel Überzeugung die Heilkraft durch Kräuter, Luft und Wasser propagiert. Pflanzenliebhaber und bekannter Buchautor Remo Vetter trägt die Naturheil-Tradition Alfred Vogels, ehemaliger Pionier der Naturheilkunde, weiter. Kräutergarten, Gartenwerkstatt und Museum stehen hier im Mittelpunkt. Der Fokus liegt auf der Heilkraft der einheimischen Pflanzen. Zugrunde liegt die Überzeugung, dass die Natur uns alles gibt, was wir für den Schutz und die Erhaltung der Gesundheit brauchen. „Aber“, erklärt Vetter, „der Arzt ist wie ein Bergführer, er geht zwar voran, aber du als Patient musst den Weg auch gehen. Vogel hat die Menschen in der Verantwortung gehalten. Wichtig dabei waren: gute Ernährung, genügend Schlaf, Bewegung in der frischen Natur und ganz zentral, die Frischpflanzen aus dem Garten: Kräuter und Gemüse“. Da bietet sich eine Spazier-Kurzwanderung auf dem markierten Kräuter- und Erlebnisweg wie selbstverständlich an. Knapp 2,5 Kilometer sind es bis zur Einkehr im Schnuggebock oder dem Restaurant Waldegg. „Sönd willkomm!“ rufen die Appenzeller einem auch heute noch zu. „Das Appenzellerland bietet eine wunderbare Natur und eine klare Luft“, schwärmt auch Cécile Kessler vom Appenzellerland Tourismus. „Und ist ideal geeignet um auszuspannen vom Alltag“.
Appenzell Ausserrhoden – Kompaktinformationen
Auskunft
Schweiz Tourismus: www.myswitzerland.com
Appenzeller Tourismus www.appenzellerland.ch
Besichtigungen
Henry Dunant Museum www.dunant-museum.ch
Besucherzentrum Kinderdorf Pestalozzi www.pestalozzi.ch
Gesundheitszentrum A. Vogel www.avogel.ch
Einkehren
Heiden: Restaurant Bö’s www.hotelheiden.ch
Teufen: Schnuggebock/Restaurant Waldegg www.waldegg.ch
Unterkunft
Heiden: Hotel Heiden www.hotelheiden.ch
Anreise
Über Lindau, Bregenz und St. Gallen (auf der A96, A14, E60) oder über Singen, Konstanz und St. Gallen (auf der A81, B33, B13, E60). Per Zug (DB, ÖBB und SBB) und Postbus gibt’s gute Anschlussmöglichkeiten.
- Themen:
- Rotes Kreuz