An der Mauer mit Meinhard

In vielen Städten können Touristen gemeinsam mit ehrenamtlichen Fremdenführern versteckte Ecken entdecken. Der Service ist kostenlos.
von  Christian Schreiber

Athen
Obwohl die Krisen-Griechen derzeit nichts zu lachen haben und jeden Euro benötigen, gibt es in der Hauptstadt immer noch Freiwillige, die Touristen für lau durch die Stadt führen. Aktuell werden sieben Touren angeboten. Besonders empfehlenswert ist Plaka unterhalb der Akropolis. Der Stadtteil ist gut erhalten, viele Gebäude stehen seit dem Zweiten Weltkrieg unter Denkmalschutz. Die dortigen Guides nehmen Touristen auch mal mit in ihre alten, hübsch renovierten Wohnungen, die der Stolz eines Volkes am Abgrund sind. www.athensgreeters.gr

Paris
Wer rechtzeitig Kontakt mit der Organisation Parisien d’un Jour aufnimmt, kann sich eine individuelle Tour zusammenstellen. Zunächst wird festgelegt, durch welches Viertel der Sightseeing-Trip führen soll, dann wird der passende Guide gesucht. Vom Studenten bis zum Rentner sind alle Altersgruppen vertreten. Wenn der Gast will, legt er dann zusammen mit seinem Führer die Schwerpunkte der Tour fest. Andernfalls lässt man sich einfach überraschen, landet vielleicht bei einem Künstlerworkshop, im trendigen Szene-Club oder in einem originellen Geschäft. www.parisiendunjour.fr

Berlin
In Berlin findet man die aktivste Szene Europas. Die Mitglieder stellen im Internet ihr Profil ein, der Tourist sieht mit einem Blick, was ihn interessieren könnte. Teilweise sind die Angebote recht abseitig: Phillip und Stephan starten regelmäßig ihre Currywurst- und-Bier-Tour, bei der die besten Wurst­buden und Hausbrauereien abgeklappert werden. Mit Meinhard geht es ans Eingemachte, denn er ist in den 60er Jahren vom Osten in den Westen getürmt und stellt das Thema „Mauer und Flucht“ in den Mittelpunkt. Aber dann gibt es auch noch eine junge Berliner Mutter, die kinderwagentaugliche Spaziergänge anbietet. www.berlin-greeter.org

Moskau
Die russische Hauptstadt zählt flächenmäßig zu den größten Metropolen der Welt. Deswegen bitten die Macher von Moscow-Greeter auf ihrer Homepage eindringlich darum, dass der Gast möglichst genau festlegt, was er sehen will. Außerdem zählt hier die Devise: lieber weniger, dafür intensiver. Moskau-Besuchern wird geraten, sich besser nur eine oder zwei der mehr als 3500 Straßen rauszupicken und sich auf zwei bis drei der knapp 700 Kirchen zu konzentrieren. Wer vorab vernünftig plant und seine Wünsche dann an die Organisation heranträgt, erhält sicherlich einen versierten Guide. Schließlich arbeiten auch Professoren und Historiker als ehrenamtliche Führer. www.moscowgreeter.ru

London
In der englischen Hauptstadt stehen zum Beispiel auf dem Programm: Hackney, Newham, Tower Hamlets, Greenwich, Waltham Forest und Camden. Besonders letzteres Viertel lohnt sich. Nicht nur wegen der zahlreichen Galerien, Theater und Künstler-Treffpunkte, sondern vor allem wegen Guide Roger, der im Internet bereits eine große Fangemeinde hat. Der ehemalige Uni-Dozent hat sein halbes Leben in Camden verbracht, war der erste ehrenamtliche Stadtführer Londons und nimmt seine Gäste auch mal mit in die Wohnung eines Rockmusikers. Sein Terminkalender ist voll bis zum Anschlag. Wer kein Glück hat, sollte es mal mit einer Tour durch Hackney versuchen, das mit seinen Parks und Grünanlagen eine Oase der Erholung im geschäftigen London darstellt. www.londongreeters.org

Belgrad
Das Nachtleben in der serbischen Hauptstadt ist berüchtigt. Wer richtig tief in die Szene eintauchen will, muss sich aber einem Mitglied von Belgrade-Greeters anschließen. Viele Bars und Clubs haben kein Schild an der Straße hängen, befinden sich in Kellern und Hinterhöfen. Wenn überhaupt, dann tragen sie Namen wie „Andergraund“. Zugang hat man nur in Begleitung Einheimischer. Wer dann mal drin ist, fühlt sich wie bei einer privaten Housewarming-Party. Natürlich erfährt man bei den Touren in Belgrad auch, warum das richtige Nightlife im Verborgenen spielt: Es geht nicht nur darum, das Finanzamt auszutricksen. Vielmehr ist die Untergrund-Bewegung noch ein Relikt aus der Milosevic-Zeit, als sich die Gegner des Diktators in Verstecken treffen mussten. www.belgradegreeters.rs

Brüssel
Wer Museen oder Ausstellungen in Brüssel besuchen will, ist bei den ehrenamtlichen Fremdenführern der Stadt an der falschen Stelle. Bewusst machen sie einen großen Bogen um die Hotspots. In ihrer Charta haben sie klar festgelegt, dass man die Gäste nur abseits der ausgetretenen Pfade führen will. Die Bewegung in Belgien macht einen sehr professionellen Eindruck, schließlich werden die Guides intensiv von den Tourismusbüros des Landes unterstützt. So gibt es regelmäßig Workshops, Konferenzen und Fortbildungen für die Community. Das oberste Gesetz bleibt aber: Freiwillige zeigen den Touristen ihr Viertel - mit den schönen, aber auch den hässlichen Seiten. www.brussel.greeters.be

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.