60 Jahre deutsche Reiseträume

Die Bundesrepublik feiert dieses Jahr ihr 60jähriges Bestehen. In dieser Zeit hat sich auch das Reisen mächtig verändert. Mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg erwachte auch bald die Reiselust der Deutschen. Eine kleine Zeitreise.
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München - Die Bundesrepublik feiert dieses Jahr ihr 60jähriges Bestehen. In dieser Zeit hat sich auch das Reisen mächtig verändert. Mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg erwachte auch bald die Reiselust der Deutschen. Eine kleine Zeitreise.

Die 1940er Jahr – Aufbruchstimmung: Am 1. Januar 1948 gründet sich die Hapag-Lloyd-Reisebüro-Organisation und veranstaltet erste Reisen in den Harz, ins oberbayerische Geigenbauerdorf Mittenwald oder von Hamburg nach Westerland auf der Nordseeinsel Sylt. Bereits im Jahr zuvor hatte Dr. Degener wieder mit dem Fremdenverkehr in Ruhpolding mit dem Fremdenverkehr begonnen. Der Zug war das wichtigste Reiseverkehrsmittel. Nach und nach wurden die bombengeschädigten Holzklassewagen zu gepolsterten Sonderzügen umgebaut. 1948 rollt ein Sonderzug mit 1200 Gästen an Bord nach Ruhpolding. 23 Stunden sind die Urlauber im sogenannten "Kniescheiben-Express" unterwegs von Hamburg bis in die bayerischen Alpen, wo sie von Trachtenkapellen und Jodlern empfangen werden. Nach und nach wurde der Traum vom Reisen wieder für mehr Menschen Wirklichkeit. Im selben Jahr gründen Dr. Degner, das Deutsche Reisebüro, das Amtliche Bayerische Reisebüro und das Hapag Lloyd Reisebüro die "Arbeitsgemeinschaft DER-Gesellschaftsreisen". Zwei Jahre später verreisen bereits 117000 Menschen mit 500 Sonderzügen der DER-Gesellschaftsreisen. Trendziele: Oberbayern, Schwarzwald, Österreich

Die 1950er Jahre – Träume vom Dolce Vita

Der Tourismus kommt immer besser ins Rollen. Zählen Anfang des Jahrzehnts noch die heimischen Seen zu den bevorzugten Ferienorten, richtet sich die Reisesehnsucht der Deutschen bald auf Ziele jenseits des Brenner. Bella Italia heißt das neue Traumziel. Immer häufiger starten Reisegruppen Richtung Gardasee und Adria, wo Rimini die beliebteste Urlaubsadresse ist. Busunternehmen entdecken die Costa Brava für den deutschen Touristen. Aus DER-Gesellschaftsreisen wird 1951 die Touropa. Im ersten Jahr transportiert das neue Unternehmen bereits 135000 Gäste. Die wollen auch unterwegs die Reise genießen, mit den Ansprüchen steigt der Komfort. Die Sonderzüge führen Speisewagen und Friseurwagen. Touropa baut ihr Reiseangebot mit rasantem Tempo aus: 1954 geht es mit kombinierten Bahn-, Bus- und Schiffsreisen nach Mallorca. Im Jahr darauf nimmt das Kreuzfahrtschiff "Pace" Kurs auf Spanien, Nordafrika und Korsika. Die Deutsche Bahn wird gegründet, in der DDR existiert weiterhin die Deutsche Reichsbahn.

Dr. Tigges-Fahrten, die ebenfalls 1948 einen Neuanfang gewagt hatten, bieten erste Flugreisen nach Mallorca an. Die Propellermaschinen fliegen allerdings nur von Barcelona nach Palma, auf der restlichen Strecke rollen Züge. die restliche Strecke wird mit dem Zug zurückgelegt. 1955 beginnt die Lufthansa ihren Flugbetrieb. Drei Jahre später legt Dr. Tigges ein erstes Fernreise-Programm auf. In dieser Zeit zählt die Statistik bereits 11,5 Mio. Bundesbürger, die eine Urlaubsreise unternehmen, 27 Prozent davon reisen ins Ausland. Der Deutsche Flugdienst (DFG) befördert bereits 47200 Passagiere. Zahlreiche Reiseunternehmen werden in dieser Zeit gegründet, darunter Hummel Reise, Scharnow Reisen, Hetzel Reisen, DER, Gastager, Marco Polo Reisen, Studiosusreisen und Traunseuropa. Trendziele: Italien, Spanien, Deutschland.

Die 1960er Jahre – Fliegen wird immer populärer

Ab 1960 setzt die Lufthansa Düsenmaschinen ein. Der Jet halbiert die Reisedauer und befördert doppelt so viele Passagiere wie bisher. Bald darauf erscheint Neckermann mit einem eigenen Flugreiseprogramm auf dem Markt. Aus der DFG wird Condor Flugdienst, in Berlin beginnt der Mauerbau und Dr. Tigges begrüßt die ersten Gäste beim Langzeit-Urlaub auf Mallorca. Nicht nur die Deutschen erweisen sich als reisefreudig. Die Tourismusbranche bekommt Aufschwung auch von anderer Seite: Zehntausende ausländische Arbeitnehmer wollen ihre Ferien zu Hause verbringen und reisen mit Sonderzügen des DER nach Griechenland und in die Türkei, nach Spanien und Italien. Vom DER gecharterte Sondermaschinen fliegen die Gastarbeiter ab 1965 nach Istanbul, Ankara, Madrid, Barcelona.

Derweil startet Fritz Gastager aus Inzell mit 104 Passagieren seine erste Rund-um-die-Welt-Reise. Die Statistik zählt Mitte der 1960er Jahre 19,1 Mio. Urlaubsreisende, so viele wie nie zuvor. Und fast die Hälfte davon zieht es im Urlaub bereits ins Ausland. Das Kontrastprogramm kreiert Touropa: zunächst mit Ferien auf dem Bauernhof, später mit den ersten FKK-Reisen. In Berlin gibt im Jahr 1966 zum ersten Mal die Internationale Börse des Tourismus einen Überblick über die große weite Welt des Reisens. Im Jahr darauf verreisen bereits 920000 Urlauber mit Charterflügen. Weitere große Reiseanbieter drängen auf den Markt: darunter TUI, Airtours International, Öger Tours und ITS.

Die 1970er Jahre – Mit dem Jumbo nach Kenia

Mit dem Einsatz eines Boeing 747-Jumbos beginnt endgültig das Zeitalter des Massentourismus. Der 1. April 1973 ist ein entscheidendes Datum für den Flugtourismus. Das Bundesverkehrsministerium beginnt mit einer ersten Liberalisierung des Luftverkehrs und genehmigt sogenannte "Advanced Booking Charter" (ABC). Die preiswerten Charterflüge über den großen Teich wurden auf Anhieb ein Erfolg: Bereits im ersten Jahr reisen 8000 Passagiere nach New York, Los Angeles, Chicago und Kanada. 1974 sind es bereits 30000, zwei Jahre später doppelt so viele. Selbst die Ölkrisen, der Vietnamkrieg, der Krieg zwischen Iran und Irak oder der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan können die Reiselust nicht bremsen. British Airways und Air France schreiben mit dem Einsatz des Überschallflugzeugs Concorde ein neues Kapitel der Flugreise. Trotz verstärkter Flugreiselust wächst auch das Interesse an der guten alten Kreuzfahrt durch etliche neue Schiffe. 1979 schickt beispielsweise die Reederei Deilmann die MS Berlin auf Jungfernfahrt. Auf den Kanarischen Inseln wachsen die ersten Bettenburgen aus dem Boden – wichtige Ziele für die Charterfluggesellschaften. "Rucksacktourismus" wird salonfähig: Alltours entdeckt die Kykladeninsel Mykonos für Pauschaltouristen und verführt zum "Insel-Hüpfen" in der Ägäis. Trendziele: Mallorca, Griechische Inseln, Gran Canaria, Teneriffa

Die 1980er Jahre – Öko-Tourismus und Fernreisen

Der Tourismus erreicht eine neue Dimension, die Reiseintensität steigt sprunghaft. Im Jahr 1980 unternehmen 27,1 Mio. Bundesbürger eine Urlaubsreise, das sind 27,7 Prozent der Bevölkerung. 16,9 Mio. verbringen die schönsten Wochen des Jahres im Ausland – auf den griechischen Inseln, auf den Balearen und Kanaren, an der Costa del Sol oder an der Algarveküste im Süden Portugals genauso wie mit dem Rucksack auf dem Inka-Trail in Peru. Die Dominikanische Republik entwickelt sich zum Mallorca der Karibik. Gleichzeitig kommt das individuelle Reisen als Gegenstück zu den "Neckermännern", die die Ferienhotels rund ums Mittelmeer und auf den Sonneninseln der Karibik bevölkern, kommt in Mode. Und je dichter sich die Urlauber an den Stränden der Ferienhochburgen drängen, desto stärker meldet sich bei vielen das schlechte Gewissen. Öko ist plötzlich auch in der Reisebranche gefragt.. Das schafft Raum für neue Spezialanbieter, die mit nachhaltigem Tourismus nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch die Situation der "Bereisten" hinterfragen und stärker ins Bewusstsein rufen wollen. Die Zeit der Studienreisespezialisten: Sie wollen nicht nur die Touristen, sondern auch die Gastgeberländer zufrieden stellen. Hapag Lloyd setzt mit der MS Europa neue Maßstäbe beim Urlaub auf hoher See. In Baden-Baden wir das Unternehmen L'Tur gegründet, dass sich auf den Verkauf von Restplätzen spezialisiert: Lastminute-Urlaub ist geboren. 1989 führen mehr als zwei Drittel der insgesamt 32,6 Mio. statistisch erfassten Urlaubsreisen über die Landesgrenze hinaus. Trendziele: Griechenland (Santorin, Mykonos) Dominikanische Republik.

Die 1990er Jahre – Ferienwelten

Der Fall der Berliner Mauer sorgt für neue Reiseströme von Ost nach West. 9,8 Mio. ehemalige DDR-Bürger nutzen die neugewonnene Reisefreiheit. Städtereisen liegen im Trend und die Alpenländer erfreuen sich kurzzeitig ungeahnter Popularität. Osteuropa profitiert vom visumfreien Reisen, mit dem Zerfall Jugoslawiens und der Auflösung des "Ostblocks" wird die Reisewelt um einige reizvolle Ziele im Osten bereichert. Kroatien wird zum Geheimtipp für billigen Badeurlaub an der Adria. Die Mittelmeerinsel Ibiza wird vom Techno- und Rave-Publikum als Partyinsel entdeckt und entsprechend belagert. Lastminute-Urlaub gilt im Mittelmeerraum als wahrer Volkssport, die Reiseunternehmen unterbiegen sich gegenseitig mit Schnäppchen. Pauschaltourismus wird flexibel. Vorbei ist die Zeit der starren "Wochenreisen". Der moderne Pauschaltourist kann fast jeden Tag von Hamburg und München nach Palma de Mallorca fliegen – und zurück nach Stuttgart oder Düsseldorf. Statt starrem 7-Tage-Rhythmus ist plötzlich fast alles möglich, kann Badeurlaub variabel mit deiner Kulturreise und einem Golftrip verbunden werden. Daneben erobern künstliche Ferienwelten die Urlaubslandschaft. Zahlreiche eifern Club Med und Robinson Clubs nach und bieten eigene Ferienclubs mit Strandparty und (fast-)Rund-um-die-Uhr-Gäste-Animation. 1992 entsteht die Idee der "Kinderhotels", die sich ganz auf Urlaub für Familien konzentrieren. Trendziele: Spanien, Italien, USA, Türkei

Die 2000er – Tourismus goes Online

Billigflieger und Internet revolutionieren eine Reisewelt, die transparent ist wie nie zuvor. In Berwertungsportalen kann jeder jeden testen: Urlauber bewerten Reiseveranstalter und Hotels. Jeder kann nachschauen, was andere Gäste am Frühstücksbuffet seines Wunschhotels zu bemängeln haben. Statt sich auf die Empfehlungen eines Reiseverkäufers verlassen zu müssen, kann der Urlauber via Google Maps dem Swimmingpool seines Ferienhotel im wahrsten Wortsinn auf den Grund gehen. Reisen werden nicht mehr vom Veranstalter sorgfältig geplant, sondern vom Computer wunschgemäß zusammengesetzt. Dynamic-Packaging ist das Schlagwort der Stunde: Die Pauschalreise muss sich plötzlich dagegen erwehren, dass jedermann individuelle Reisepakete aus (Billig-)Flug, Hotel, Transfers und sonstigen Elementen zusammenstellen kann. Billig ist Trend am Beginn des 21. Jahrhunderts. Bordkarten sind Schnee von gestern, der Flugurlauber ist nur noch ein Nummer am Ticketschalter. Die Reiseveranstalter kreieren immer längerfristigere Frühbucherrabatte als Konsequenz der Erosion der Pauschalreise. In Europa sorgt die Einführung des Euro 2002 für Erleichterungen. All-inclusive hat sich in allen beliebten Urlaubsregionen durchgesetzt. Trendziele: Ägypten, Deutschland.

Rudi Stallein

Buchtipp zum Thema

Einen umfassenden Überblick über die Entwicklung bietet das Buch "Die Ferien-Macher" – eine gründliche und grundsätzliche Betrachtung über das Jahrhundert des Tourismus", von Otto Schneider, TourCon, 25 Euro (zu beziehen im touristischen Buchhandel oder direkt über TourCon Verlag, PressUp GmbH, Postfach 70 06 29, 22006 Hamburg.

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