Yogatherapie: "Besser als eine Psychotherapie"

Yoga hilft etwa bei Depressionen, Herz- und Kreislauf-Erkrankungen oder Rückenschmerzen. Im AZ-Interview erklären Experten, wie das funktioniert – und worauf zu achten ist.
von  Stephanie Schönberger
Heilung auf der Matte: Yoga trennt nicht zwischen krank und gesund, sondern unterstützt alle Menschen bei der Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung der inneren oder äußeren Balance.
Heilung auf der Matte: Yoga trennt nicht zwischen krank und gesund, sondern unterstützt alle Menschen bei der Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung der inneren oder äußeren Balance. © Imago

Die meisten Menschen beginnen mit Yoga, weil ihnen der Rücken schmerzt, die Bandscheiben vorgefallen sind, der Stress sie auffrisst und der Arzt gesagt hat, sie sollten deshalb doch mal Yoga machen. Tatsächlich bezuschussen einige Krankenkasse einen Yoga-Kurs im Jahr, vielleicht mal zwei, als Präventionsmaßnahme. Doch zunehmend entdecken Mediziner und Wissenschaftler die heilende Kraft, die Yoga entwickeln kann, und setzen die Methoden des Yoga darum auch zu therapeutischen Zwecken ein.

So wie der Sportmediziner Ronald Steiner und seine Ehefrau, die Psychologische Psychotherapeuten Melanie Steiner, die in Ulm gemeinsam das Ashtanga Yoga Innovation-Institut leiten, wo sie neben dem regulärem Yoga-Gruppenunterricht auch yogatherapeutisch arbeiten. Ein Gespräch über die Möglichkeiten und Grenzen der Yogatherapie.

AZ: Yoga, hat man inzwischen manchmal den Eindruck, ist zum Wunderheilmittel für jede Art von Beschwerden geworden. Aber wirkt Yoga nun tatsächlich medizinisch und wissenschaftlich nachweisbar und wenn ja, wie?
MELANIE UND ROBERT Steiner: Ja, „Yoga wirkt“, so lautet auch der Titel einer Meta-Analyse, die 2016 im Deutschen Ärzteblatt erschienen ist. Bei Depressionen wirkt Yoga genauso gut wie die aktuelle Standard-Therapie, eine Kombi aus Psychotherapie und Psychopharmaka – bei weit geringeren Kosten. Auch für den Nachweis der Wirksamkeit auf körperlicher Ebene, beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Rückenschmerzen, gibt es zahlreiche Studien.

Yoga an sich ist ja ein Heilungsweg, der den Menschen in einen Zustand bringen will, in dem er sich wohl und gut fühlt. Wozu braucht es dafür eine extra Yoga-Therapie?
Yoga trennt nicht zwischen krank und gesund, sondern unterstützt alle Menschen bei der Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung der inneren oder äußeren Balance. Manchmal ist diese Balance aber so stark beeinträchtigt, dass besondere Kompetenzen und Wissen zu der zugrundliegenden Erkrankung beim Yogalehrer gefragt sind. Dann ist meist auch ein Eins-zu-eins- oder Kleinstgruppen-Setting notwendig. In diesem Fall sprechen wir von Yogatherapie.

Was genau ist unter Yogatherapie zu verstehen? Worin unterscheidet sie sich von der Behandlung durch einen Physiotherapeuten oder Ostheopathen oder von der klassischen Rückengymnastik?
Teilweise unterstützt der Yoga andere Therapieformen, teilweise lassen sich auch ausschließlich durch Yogatherapie Heilerfolge erzielen. Yogatherapie hilft dem Menschen, eine eigenständige, auf ihn zugeschnittene Übungspraxis aufzubauen. So kann dieser selbst auch langfristig für sein Wohlbefinden aktiv werden. Die Praxis besteht dabei nicht nur aus einzelnen Gymnastik- oder Dehnungsübungen. Unabhängig von der Erkrankung entsteht in jedem Fall eine meditative, den Körper und den Geist mit einbeziehende Übungspraxis. Das sind zwei wesentliche Aspekte, die die Yogatherapie auch in Abgrenzung zu anderen Therapieformen kennzeichnet.

Ein Beispiel?
Eine Teilnehmerin meldet sich wegen chronischer, seit zehn Jahren bestehender Rückenschmerzen an. Die Rückenschmerzen besserten sich schon im Verlauf der Woche durch die bewusste Ausführung einiger Atem- und Bewegungstechniken. Vor allem der Atem war ein Schlüssel für die Yogatherapie. Allerdings kamen durch das tiefe Atmen zunächst unbestimmbare Ängste der Verlassenheit an die Oberfläche. In der Einzelsitzung lernte die Teilnehmerin, diese Ängste neu einzuordnen und selbstfürsorglich damit umzugehen. So kann sie die körperliche Übungspraxis fortsetzen und zugleich auch lernen, ihre Ängste zu bewältigen. Der alleinige Fokus auf Körper oder Psyche hätte bei dieser Teilnehmerin keinen nachhaltigen Heilerfolg gehabt. Durch seine Popularität erreicht Yoga immer mehr Menschen, darunter welche mit psychischen Problemen, die sich vom Yoga-Gruppenunterricht Heilung erhoffen. Häufig haben wir die Erfahrung gemacht, dass bei leichten psychischen Erkrankungen, also zum Beispiel bei sozialen Ängsten und depressiven Erkrankungen, der ganzheitliche Ansatz des Yogas besser wirkt als eine Psychotherapie. Einige unserer Schüler haben über Jahre Psychotherapie gemacht, ohne eine nennenswerte Verbesserung ihrer Lebensqualität. Dagegen berichten sie nach drei bis sechs Monaten kontinuierlicher Yogapraxis bei uns, dass sie sich beispielsweise auf einmal wieder trauen, alleine Auto zu fahren. Häufig können sich die Übenden selbst nicht erklären, wie genau der Yoga geholfen hat, führen es aber unbedingt auf die Übungspraxis zurück. Mit Yoga innerhalb einer kontinuierlichen Lehrer-Schüler-Beziehung konnten offenbar Ressourcen geweckt werden, die mit einer herkömmlichen Psychotherapie verborgen blieben.

Es gibt Stimmen, die sagen, dass eine stabile Psyche Voraussetzung für einen wirklich heilsamen Yoga-Weg ist. Stimmen Sie dem zu?
Übende mit tiefgreifenden Persönlichkeitsstörungen, mit traumatischen oder psychotischen Erkrankungen und auch wenn sie von einer Vielzahl von verschiedenen psychischen Störungen betroffen sind, können vom Üben in der Gruppe überfordert sein. Hier ist unbedingt ein Einzelsetting unter der Anleitung eines Professionellen mit klinischer Erfahrung erforderlich. Für schwer psychisch kranke Menschen kann es schon eine große Herausforderung sein, für wenige Augenblicke die Augen zu schließen und bewusst zu atmen. Hier braucht es unbedingt ein fundiertes Störungswissen und ausreichend Erfahrung bei der Behandlung dieser Patientengruppe zusätzlich zum fundierten Wissen im Yoga.

Wer darf sich eigentlich Yogatherapeut nennen?
Yogatherapie ist kein geschützter Begriff. Daher gibt es, im Gegensatz zu Berufen mit staatlicher Approbation, also Heilerlaubnis, keine standardisierte Ausbildung zum Yogatherapeuten. Es ist aber nach dem Heilberufegesetz streng geregelt, wer sich „Therapeut“ nennen darf. Wer selbst einen solchen staatlich anerkannten Heilberuf hat, beispielsweise Arzt, Heilpraktiker oder Psychotherapeuten erlernt hat, darf therapieren. Zusätzlich dürfen auch Menschen in direktem Auftrag eines Arztes therapeutisch aktiv werden. Wer also nicht selbst einen staatlich anerkannten Heilberuf hat, dem empfehlen wir nicht nur rechtlich, sondern auch inhaltlich unbedingt die enge Zusammenarbeit mit einem Arzt.

Wie sieht Ihre yogatherapeutische Arbeit konkret aus?
Wir nutzen seit Jahren erfolgreich die Kombination aus Einzel- und Gruppenunterricht. Im Einzelsetting lassen sich natürlich die Befunde besser erheben und alles Wichtige zur Lebensgeschichte des Menschen erfahren. Für die konkrete Übungspraxis profitieren die Patienten enorm, wenn auch andere Übende im Raum sind. Allerdings üben bei uns auch in den Gruppenstunden alle ihr individuelles Programm, also quasi Einzelunterricht in der Gruppe. Wir arbeiten bei uns in Ulm seit Jahren außerdem sehr erfolgreich in sogenannten Yogatherapie-Wochen mit einer Kleingruppe aus jeweils acht Teilnehmenden. Zum Beginn der Woche werden mit jedem einzeln die Befunde besprochen, zum Beispiel CT-Bilder oder Berichte von anderen Therapeuten, und die Ziele festgelegt. Es sind immer auch Menschen dabei, die keine Erkrankung im eigentlichen Sinne haben, sondern einfach für mehr Balance in ihrem Leben sorgen möchten.

Übernehmen Krankenkassen die Kosten für Yogatherapien?
In der Regel erstatten die gesetzlichen Krankenkassen nur Yoga im Rahmen von Prävention, wenn bestimmte Voraussetzungen des Kursleiters und des -angebots gegeben sind. Yogatherapie wird nicht übernommen. Private Kassen erstatten die Kosten bei entsprechender Diagnose und je nach Vertrag bei Durchführung der Behandlung durch einen Arzt, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker.

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