Interview

Richtig abnehmen: "Nicht zu schnell und zu streng"

Steht bei Ihnen nach den Feiertagen auch Diät auf dem Plan? Nach dem Fasten sind die Kilos oft schnell zurück, weil individuelle Abnehmhürden übersehen werden. Ein ganzheitlicher Blick auf unser Gewicht.
von  Rosemarie Vielreicher
Im neuen Jahr will der ein oder andere ein paar Pfunde verlieren – aber wie? (Symbolbild
Im neuen Jahr will der ein oder andere ein paar Pfunde verlieren – aber wie? (Symbolbild © dpa

AZ-Interview mit Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann. Die Medizinerin (55) aus Fulda lehrt an der Hochschule Coburg.

AZ: Frau Axt-Gadermann, laut Studien können nur ein bis drei Prozent der Menschen ihr Gewicht nach einer Diät halten. Warum so wenige?
MICHAELA AXT-GADERMANN: Ein Vergleich: Sie bringen Ihr Auto in die Werkstatt, weil es klappert. Sie holen es wieder ab, und wenig später klappert es schon wieder. Damit wissen Sie: Es wurde nicht das Richtige repariert. Bei Diäten zweifelt keiner die Wirksamkeit an, obwohl die meisten vier bis sechs Wochen nach der Diät wieder ihr ursprüngliches Gewicht haben. Ich gehe den Ursachen - neben zu wenig Bewegung und zu viel Essen - auf den Grund. Denn viele Faktoren, die zu mehr Gewicht führen können, werden oft nicht berücksichtigt.

"Kleine Veränderungen führen in der Summe zum Erfolg."

Sie schauen ganzheitlich aufs Gewicht – welche individuellen Diäthürden gibt es?
Wenn jemand etwa eine Schilddrüsenunterfunktion hat, liegt der Stoffwechsel darnieder. Sie verbrauchen weniger Kalorien; eine Diät löst also das Grundproblem nicht oder kann es sogar verschlimmern. Man kann aber auch mehrere "Baustellen" haben. In vielen Fällen lassen sich mit einfachen Umstellungen des Lebensstils weitreichende Effekte auf diese Abnehmhürden erzielen. Kleine Veränderungen führen in der Summe zum Erfolg.

Ursache: veränderte Darmflora

Welche Baustellen können es noch sein?
Ein verändertes Mikrobiom (die Gesamtheit aller mikrobiellen Mitbewohner im Darm; d. Red.) kann mich zu einem guten "Futterverwerter" machen und mehr Kalorien aus dem Essen ziehen. Wenn ich daran nichts ändere, ist es fraglich, ob ich mein Wunschgewicht langfristig halten kann.

Deshalb sollte ich mich erstmal um meine Darmflora kümmern und dann mit der Diät beginnen – vielleicht brauche ich dann aber gar keine mehr. Auch Medikamente können das Abnehmen verhindern.

In Absprache mit dem Arzt: mögliche hinderliche Medikamente ersetzen

Welche zum Beispiel?
Etwa bestimmte Antidepressiva oder Mittel gegen Diabetes. In diesen Fällen wird es extrem schwer fallen, abzunehmen. Natürlich wäre es falsch, das Medikament einfach abzusetzen. Aber in manchen Fällen gibt es in Absprache mit dem Arzt die Möglichkeit, es durch ein anderes Mittel zu ersetzen.

"Antibiotika machen dick"

Steht so etwas immer im Beipackzettel?
Manchmal schon. Bei Antibiotika wird es nicht bei den Nebenwirkungen angegeben, weil die Gewichtszunahme nicht in einem engen zeitlichen Zusammenhang steht, sondern schleichend erfolgt. Aber es gibt inzwischen sehr viele Studien, die belegen: Antibiotika machen dick. Es hängt neben der Länge der Einnahme auch davon ab, wie stark das Medikament die Darmflora in Mitleidenschaft zieht. Antibiotika verändern das Mikrobiom so, dass nach vier oder fünf Monaten mehr Kalorien aus dem Essen gezogen werden.

Ernährungsumstellung, um Entzündungswerte zu senken

In Ihrem Buch werden auch Entzündungen als Abnehmhürde genannt. Inwiefern?
Entzündungen entstehen aus unterschiedlichen Gründen in unserem Körper. Zum Beispiel durch Erkrankungen oder auch unseren Lebensstil.

Warum begünstigen Entzündungen Gewichtsprobleme?
Bei Entzündungen fährt der Körper ein Notfallprogramm. Er legt - evolutionsbedingt - ein Fett-Depot an, um schlechte Zeiten zu überstehen. Diese Fett-Depots wiederum bilden selbst Entzündungsbotenstoffe. Es ist ein Teufelskreis: Entzündung, mehr Gewicht, mehr Entzündungswerte.

Die Ernährung kann zu erhöhten Entzündungswerten beitragen. Ungünstig sind Omega-6-Fettsäuren, die häufig in preiswerten Nahrungsmitteln zu finden sind - wie Sonnenblumenöl, Distelöl, Maiskeimöl, Schweinefleisch, Fertiggerichten oder Frittiertem. Hier hilft eine Umstellung, um die Entzündungswerte zu senken.

Vor der Diät: Nährstoffmangel ausgleichen

Wie kann diese aussehen?
Ich kann Sonnenblumenöl gegen Olivenöl oder Rapsöl tauschen, statt Schweinefleisch mehr Fisch oder Hähnchen essen; oder auch mal vegan oder vegetarisch kochen. Die mediterrane Ernährung wirkt nachweislich entzündungshemmend.

Ihr Weg zum Abnehmerfolg, der "Abnehmkompass", besteht aus drei Phasen - die ersten beiden sollen auf das Abnehmen vorbereiten und Problemfelder beheben. Dabei soll man sich auch seine Mikronährstoffe genauer anschauen. Was heißt das?
Vor der Diät sollten Nährstoffmängel ausgeglichen werden. Man hat zum Beispiel herausgefunden, dass ein Vitamin-D-Mangel den Diäterfolg erheblich einschränkt. In diesen Fällen ließ sich der Diäterfolg durch Vitamin-D-Präparate verbessern. Auch die Psyche ist ein Abnehmhindernis.

Bei trübem Wetter, mieser Stimmung und Stress neigen viele dazu, mehr zu essen. Neben pflanzlichen Mitteln kann hier im Winter auch eine Tageslichtlampe helfen. Das helle Licht kurbelt die Bildung von Glücks- und Sättigungshormonen an.

"Es gibt so viele Gründe, an denen man nicht schuld ist."

Nach den Festtagen wollen viele umgehend abnehmen. Wenn man Ihr Buch studiert, merkt man schnell: Abnehmen ist eine Wissenschaft für sich, man muss sich und die Kilos erst hinterfragen.
Die meisten Menschen wollen einfache Lösungen. Gemäß: Wenn man zu viel Gewicht hat, verzichte ich halt auf Kalorien. In meinem Buch steht die kompliziertere Lösung, aber die wirksamere, nachhaltigere. Eigene Vorwürfe, man sei nicht willensstark genug fürs Abnehmen, stimmen oft nicht. Es gibt so viele Gründe, an denen man nicht schuld ist.

Was halten Sie also vom schnellen Weg mit gängigen Diät-Modellen?
Die Diäten setzen teils auf sehr einseitige Ernährung, die oft nicht dem entspricht, was man auf Dauer gerne isst und durchhalten kann. Die Menschen quälen sich bis zum Wunschgewicht durch. Aber durch eine streng kalorienreduzierte Diät haben sie ihren Stoffwechsel noch weiter heruntergefahren. Und nach der Diät nehmen sie wieder schnell zu, weil die Ursachen des Übergewichts nicht beseitigt wurden.

"Nicht zu schnell und zu streng abnehmen"

Welche Schwankungen sind normal?

Ein Kilo mehr oder weniger ist zu verschmerzen und normal – da würde ich mir keine Gedanken machen. Wenn ich drei oder vier Kilo zugenommen habe, sollte ich die Reißleine ziehen. Je länger die Kilos an mir hängen, desto schwerer werde ich sie wieder los. Wichtig dabei ist, nicht zu schnell und zu streng abzunehmen. Zehn Monate lang ein Kilo im Monat ist ein guter Erfolg. Das ist ohne große Entbehrungen zu schaffen. Und man kann auch ab und zu ohne schlechtes Gewissen auf einer Party ein Glas Wein trinken oder ein Stück Pizza essen.


Die drei Phasen des Abnehmkompasses nach Michaela Axt-Gadermann

1. Check-up-Phase: Vitamin D, Cortisol, Mikronährstoffe

Der Abnehmkompass von Michaela Axt-Gadermann besteht aus drei Phasen mit insgesamt neun Schritten. Bevor man überhaupt an eine Diät denkt, gilt bei Schritt 1 zu schauen: "Wo liegt das Problem?", sagt Axt-Gadermann zur AZ. "Es reicht dabei nicht, beim Arzt ein großes Blutbild machen zu lassen."

Dieses treffe unter anderem keine Aussagen über den Vitamin-D-Haushalt oder die Funktion der Schilddrüse, die aber das Gewicht beeinflussen können. Sie schlägt einen ärztlichen Check-up vor, bei dem folgende Werte geprüft werden:

  • Entzündungswert CRP l Cortisol-Spiegel (Stresshormon) – mit einem Testkit kann man das daheim selbst durchführen. "Die besten Werte bekommt man, wenn man gleich nach dem Aufstehen etwas Spucke in das Test-Röhrchen gibt."
  • Vitamin-D-Spiegel
  • weitere Mikronährstoffe wie Selen, Eisen, Zink, Magnesium
  • Langzeit-Blutzuckermarker HbA1c
  • Schilddrüsen- Parameter TSH l Mikrobiom-Analyse (Stuhl-Probe; was je nach Diagnose guttun kann: probiotische Bakterien und präbiotische Ballaststoffe)

Werden bei den Tests Werte außerhalb des Normalbereichs festgestellt, sollten diese zunächst mit einer angepassten Behandlung verbessert werden.

2. Vorbereitungsphase: Guter Schlaf, richtige Bewegungsform, geeigneter Zeitpunkt

Es folgt die Vorbereitungsphase mit den Schritten 2 bis 7 – für sie kann man sich durchaus vier Wochen Zeit nehmen, teils laufen sie parallel ab. "In dieser Phase geht es noch nicht ums Kalorienzählen", schreibt die Autorin in ihrem aufschlussreichen Ratgeber. Im Detail geht es in dieser Phase um Folgendes:

Schritt 2: Die Speicher auffüllen und Mikronährstoff-Lücken schließen. Denn: "Ein Mangel an Mikronährstoffen bremst jede Diät aus, bevor sie richtig gestartet ist", schreibt Axt-Gadermann im Buch. Die Möglichkeiten: Nahrungsergänzungsmittel einnehmen (gezielt und nicht mehr als nötig!) oder versuchen, die jeweiligen Lücken mit der Ernährung zu schließen.

Schritt 3: Obesogene aussortieren – darunter fallen Medikamente, Umweltgifte (auch in Plastikflaschen) oder Süßstoffe (Inhaltsstoffe E950 bis E962).

Schritt 4: Die Psyche stärken – auch sie beeinflusst, wie stark wir in die Abnehmphase starten und wie wir Heißhungerattacken begegnen. Axt-Gadermann setzt auf eine Tageslichtlampe für eine bessere Grundstimmung und auf pflanzliche Mittel gegen Stress und schlechte Laune.

Schritt 5: Guter Schlaf. "Jegliches Licht im Schlafzimmer lässt das Risiko für Übergewicht steigen." Das hätten Studien gezeigt. Deswegen empfiehlt sie auf Radiowecker, Stand-by-Lichtlein oder Nachtlicht zu verzichten, weil sich dies auf die Hormonsituation im Körper auswirken. "Stecker ziehen!"

Schritt 6: Den richtigen Sport finden: Axt-Gadermann präferiert bewusst das Wort Bewegung. Wichtig: diese je nach eigenen Vorlieben wie Tanzen, Spazierengehen oder Fitnessstudio wählen. "Es muss Spaß machen."

Schritt 7: Den geeigneten Zeitpunkt finden. Habe ich gerade eine stressige Woche vor mir? Dann lieber auf eine ruhige Woche warten. Bei Intervallfasten: Welche Mahlzeiten könnte ich am besten in meinem Alltag ausfallen lassen? Und: "Im Frühjahr fallen Diäten leichter." Mehr Licht, mehr Zeit im Freien.

3: Abnehmphase: Abwechslungsreiche und ausgewogene Mahlzeiten sind ausschlaggebend

Erst die letzten beiden Schritte 8 und 9 sind die eigentliche "Gewichtsreduktionsphase". Wichtig: Dieser Weg ist individuell – Axt-Gadermann spricht sich nicht für Entbehrung aus, Genuss sei wichtig, um durchhalten zu können: "Sie müssen nicht dauerhaft streng fasten oder exzessiv Sport treiben."

Axt-Gadermann empfiehlt, "keine zu kalorienarme Diät" zu machen, sondern längere Zeit einzuplanen, um weniger Kalorien aufzunehmen beziehungsweise mehr zu verbrennen, als man einnimmt.

Ihre Empfehlung: 300 Kalorien mit dem Essen einsparen und weitere 300 "verbrennen". Sie gibt in Schritt 8 bewusst keine Rezepte an die Hand, sondern Ansatzpunkte: Etwa: Auf welche Kalorienbomben kann ich am besten verzichten? Beispiele: Süße Getränke, Säfte oder Bier. Oder: Welche Ernährungsform würde mir Spaß machen?

Zum Beispiel mediterran oder nordisch (viel Fisch, Beeren, Vollkornprodukte). Bei jeder Mahlzeit sollte eine Portion hochwertiges Eiweiß dabei sein, weil Proteine sättigen. Weiterer Tipp: Vor dem Essen eine Handvoll Mandeln und einen Esslöffel Olivenöl zu sich nehmen. "Wenn ich nicht total hungrig zum Mittagessen gehe, lassen sich so Kalorien einsparen."

Abwechslungsreiche und ausgewogene Mahlzeiten sind wichtig. Fürs Frühstück empfiehlt sie Varianten aus: Vollkornprodukte, eine Portion Eiweiß (Ei, Tofu, Milchprodukte, Nüsse, Mandeln), Beeren, Gemüse oder Nüsse. "Brezn und Semmeln dürfen am Wochenende schon mal dabei sein, aber nicht ausschließlich und nicht jeden Tag."

Darin stecken kaum Nährstoffe. Fürs Mittagessen empfiehlt sie vorher eine große Tasse Tee oder Wasser, viel Gemüse, Salat, Hülsenfrüchte, ein kleines Stück Fisch oder Fleisch. Das Abendessen gestaltet man kohlenhydratarm und ballaststoff- und proteinreich. Und noch kleine Diäthelfer in Schritt 9: grüner Tee, scharfe Gewürze – viele weitere Tipps gibt's im Buch.


"Der Abnehmkompass. Diäthürden überwinden und dauerhaft abnehmen"
"Der Abnehmkompass. Diäthürden überwinden und dauerhaft abnehmen" © Südwest Verlag

Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann: "Der Abnehmkompass. Diäthürden überwinden und dauerhaft abnehmen", Südwest, 22 Euro.

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