Zu teuer? Atomausstieg kostet, Kernenergie aber auch

Deutsche Firmen fürchten die Kosten einer schnellen Abkehr vom Nuklearstrom. Angeblich geht es um 200 Milliarden Euro. Soll Deutschland weiter auf seine Reaktoren setzen?
München - Zu plötzlich, zu teuer – die deutsche Wirtschaft wehrt sich gegen einen sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft. Die Chefs der wichtigsten Wirtschaftsverbände wollten am Freitag in München Bundeskanzlerin Angela Merkel bearbeiten. Merkel kam wegen der Libyen-Krise dann doch nicht. Also verkündeten die Wirtschaftsbosse ihre Forderung ohne sie.
Was kostet die Energiewende? Die Wirtschaft fürchtet die Kosten eines Umstiegs auf Ökostrom. Schaltet Berlin jetzt alle Meiler ab, werden über 200 Milliarden Euro fällig, schätzt das Bundesumweltministerium. Die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen – niemand kann schließlich sagen, was eine Solarzelle in fünf Jahren auf dem Weltmarkt kosten wird. Klar ist aber, dass der Atomausstieg nicht gratis zu haben ist – und dass die Kosten auf Steuerzahler und Stromkunden abgewälzt würden.
Die größten Summen würden für den Bau neuer Öko-Kraftwerke fällig. 86 Milliarden Euro würde der Bau neuer Solaranlagen kosten, 46 Milliarden Euro neue Windräder, 30 Milliarden Euro Anlagen für Strom aus Biomasse. Weitere Posten: Der Bau von Stromleitungen, um die dezentralen Bioanlagen mit den Verbrauchern zu verbinden, und Geräte, die dafür sorgen, dass gleichbleibend Strom zur Verfügung steht, obwohl die Energieerzeugung aus Sonne und Wind hohen Schwankungen unterworfen ist.
Auch der Rückbau alter Atommeiler und Kernforschungsanlagen ist nicht zum Nulltarif zu haben. So musste Berlin bisher allein für die Stilllegung des Endlagers Morsleben über 620 Millionen Euro zahlen. Am Ende werden es schätzungsweise 1,4 Milliarden Euro sein. Für die Stilllegung der Schachtanlage Asse sind zwei Milliarden Euro eingeplant. Ob dieser Betrag ausreicht, ist unklar.
Lassen sich diese Kosten vermeiden? Auf Dauer kaum. Ein großer Teil der Kosten wird ohnehin fällig, weil über die Tatsache, dass Deutschland nicht ewig Atomstrom verbrauchen wird, in der Politik Konsens besteht (auch wenn Atom-Manager hoffen, dass es sich künftige Regierungen noch anders überlegen). Allerdings sind diese Aufwendungen für die Wirtschaft und die Privatverbraucher besser zu verkraften, wenn sie erst im Lauf der nächsten Jahrzehnte kommen.
Auch der Weiterbetrieb der Kernreaktoren würde freilich Geld kosten. Mit Sicherheit werden nach dem aktuell verhängten „Moratorium” neue Sicherheitsauflagen verkündet. Die Kosten dafür werden die Energiekonzerne auf die Verbraucher umlegen, so dass der Strompreis steigen dürfte. Dazu kommen Steuervergünstigungen für die Energiekonzerne und öffentliche Ausgaben für die Atomforschung. Allein bis 2010, hat Greenpeace errechnet, hat die Atomindustrie 200 Milliarden Euro an offenen und verstecken Subventionen bekommen.