Zu Ostern: Ein neues Ei von Apple
NEW YORK - In New York stehen sie Schlange, um beim Verkaufsstart für den Tablet-Computer iPad dabei zu sein – was der Münchner Journalisten und Blogger Richard Gutjahr dabei erlebt
Für Millionen von Technik-Freaks in aller Welt ist es, als ob Ostern und Weihnachten auf einen Tag fällt: Am Samstag beginnt in den USA der Verkauf des iPads von Apple, des seit Monaten mit Spannung erwarteten Touchscreen-Notebooks. Hunderttausende von Vorbestellungen sind bereits über den Apple-Store eingegangen, Ende Mai wird die futuristische Schiefertafel auch bei uns angeboten – zu Preisen zwischen 350 und 600 Euro.
Einer, der in einer langen Schlange vor dem Apple-Flagship-Store wartet, ist der Münchner Journalisten Richard Gutjahr (er moderiert unter anderem die „Rundschau Nacht“ im BR). Für die AZ schildert er seine Erlebnisse.
„Es ist früh am Morgen, als ich mich auf den Weg in die 5th Avenue mache. Man muss früh aufstehen, um hier einen guten Platz zu bekommen. Normalerweise berichte ich über Medien-Ereignisse wie dieses hier bequem von meinem Schreibtisch aus. Google, Wikipedia und Twitter haben auch meine Arbeitswelt als Journalisten verändert.
Doch um wirklich zu begreifen, was in den Köpfen jener Leute vorgeht, die oft Tag und Nacht Schlange stehen, für einen Computer oder ein neues Telefon, dazu muss ich mein gemütliches Büro verlassen und selbst hierher kommen.
Schon bei meiner Ankunft wird mir klar: Die Firma Apple hat das auch Big Apple genannte New York fest im Griff. Keine Tageszeitung ohne einen Bericht über die neue Wunderflunder. Sogar im Taxi werde ich mit einem TV-Bericht zum Verkaufsstart des iPads begrüßt. Die berühmten New Yorker Yellow Cabs haben seit einer Weile Fernsehbildschirme an Bord.
New York, Peking oder Tokio: Weltweit gibt es 287 Apple-Stores (seit 2008 auch in München). Doch der Flagship-Store hier an der 5th Avenue gilt bis heute als die Kathedrale des Apple-Kults. Der Laden hat 24 Stunden rund um die Uhr geöffnet, auch am Sonntag.
Bevor ich mich in die Schlange begebe, muss ich mich noch um ein paar Dinge kümmern. Getränke und Lebensmittel sind kein Problem. Meine Vorräte (Sandwiches, Müsliriegel und eine Flasche Wasser) reichen für den ersten Tag. Zum Abendessen wird es ein Hot-Dog geben. Die Würstchenverkäufer entlang der Schlange machen guten Umsatz. Zum Frühstück wird Apple Kaffee und Croissants spendieren. Nur die WC-Frage bleibt ungeklärt. Die benachbarten Geschäfte oder Hotels reagieren verschnupft, wenn Apple-Jünger deren stille Örtchen benutzen.
Ich habe Glück: Ein Bekannter hat mir Zugang zum Business-Center des Plaza-Hotels verschafft, ein 5-Sterne-Schuppen, mit tollem Blick auf das Spektakel. Dort kann ich mich frisch machen und auch die Akkus für mein Laptop aufladen. Das ist auch dringend nötig, schließlich habe ich mir vorgenommen, 24 Stunden direkt aus der Schlange zu bloggen (www.gutjahr.biz/blog).
In Amerika hat Schlangestehen eine lange Tradition. Der Begriff „Blockbuster“ stammt aus der Zeit, als sich Kinobesucher rund um den Häuserblock für einen Film anstellten. Beim Schlangestehen verstehen die sonst so lockeren Amerikaner übrigens keinen Spaß. Es gelten Regeln in so einer Schlange. Die wichtigste: Wer zu lange weg ist, der verliert seinen Platz. Profis laufen hier gleich in Teams auf, um im Schichtdienst ihre Plätze zu verteidigen.
Die Menge, mit der ich hier die nächsten 20 Stunden unter freiem Himmel verbringe, ist ein typischer New Yorker Querschnitt: Alle Altersgruppen und Hautfarben sind vertreten. Sie alle teilen miteinander dieselbe Passion: die Liebe zu Produkten mit dem berühmten Apfel-Logo.
Brian aus Ohio ist Englisch-Lehrer an einer High School. Er besitzt drei iPods, das iPhone, ein MacBook Pro und einen iMac-Computer. Warum jetzt noch das iPad? „Ich werde es in der Schule einsetzen“, erklärt er mir. So ein Lesegerät sei fantastisch für seine Schüler, um damit zu lernen oder um schnell mal irgendwelche Dinge nachzuschlagen.
Ob das iPad auch wirklich hält, was es verspricht, weiß Brian nicht. Nur wenige Auserwählte durften bisher das Gerät kurz in Augenschein nehmen. Wie die meisten hier in der Schlange kauft also auch Brian die Katze im Sack.
Doch wer mit den Leuten redet, begreift schnell: Hier geht es um weit mehr, als nur um ein neues technisches Spielzeug (das hätte man sich auch bequem per Paketdienst nach Hause liefern lassen können). Beim Anstehen geht es darum, dabei zu sein, seine Vorfreude mit Gleichgesinnten teilen zu können – die Schlange als Event. Keine Firma weiß diesen Trend besser für sich zu nutzen als Apple.
Analysten trauen dem iPad zu, den Medienmarkt ähnlich aufzumischen, wie es Apple vor knapp zehn Jahren mit dem iPod gelungen ist. Daher schauen die Experten auf der ganzen Welt gespannt in die USA und warten auf die ersten Verkaufszahlen.
Doch egal wie die ausfallen: Am Ende wird die Schlacht nicht hier in den Häuserschluchten von New York entschieden, wo Leute wie Brian für so ziemlich alles Schlange stehen würden, was Apple auf den Markt wirft. Die eigentliche Entscheidung über Erfolg und Misserfolg des iPads wird bei den Menschen zuhause fallen, im Wohnzimmer. Wird dort auf dem Couchtisch, neben all den Fernbedienungen und der Fernsehzeitung noch Platz sein für ein weiteres elektronisches Gerät? Ein Gerät, von dem heute noch kaum einer weiß, dass er es überhaupt braucht?
Für Apple-Fan Brian aus Ohio keine Frage. Nur noch wenige Stunden, dann wird er wissen, ob der Tablet-Computer sein Geld auch wirklich wert ist. Und wenn nicht? Was soll's! In ein paar Monaten wird er wieder hier stehen. Am 22. Juni, so wird gemunkelt, will Apple ein neues iPhone herausbringen.“