Wörterbuch des Grauens

Die Wirtschaftskrise ist schon schlimm, und sie könnte noch schlimmer werden. Die AZ malt ein Albtraum-Szenario.
von  Abendzeitung
Für Dennis Blair, den neuen Geheimdienstkoordinator der USA, ist die Wirtschaftskrise schlimmer als Osama bin Laden
Für Dennis Blair, den neuen Geheimdienstkoordinator der USA, ist die Wirtschaftskrise schlimmer als Osama bin Laden © AP

Die Wirtschaftskrise ist schon schlimm, und sie könnte noch schlimmer werden. Die AZ malt ein Albtraum-Szenario.

Osama bin Laden? Nordkorea? Iran? Nichts ist so gefährlich für die USA und die Welt wie die Wirtschaftskrise. Das steht im Jahresbericht von Dennis Blair, dem Geheimdienst-Koordinator der USA. Je länger die Krise dauere, desto eher gerate die politische Ordnung weltweit ins Wanken. So seien Staaten der ehemaligen Sowjetunion, in Afrika oder Lateinamerika nicht gegen die Krise gewappnet. Schon jetzt wachse vielerorts die Kritik an den USA als vermeintlich verantwortlich für die Wirtschaftskrise. Und die wird täglich schärfer.

Die deutsche Wirtschaft etwa schrumpft rasant: im Schlussquartal 2008 um 2,1 Prozent. Das gab es seit 20 Jahren nicht mehr. Auch andere Länder trifft es voll. „Ausmaß und Geschwindigkeit der Krise sind völlig neu“, sagt EU-Industriekommissar Günter Verheugen.

Gleichzeitig flüchten die Staaten in Protektionismus. „Die Arbeitslosigkeit wächst. Das erhöht den Druck auf Politiker, heimische Industrien zu schützen“, sagt Andreas Rees, Chefvolkswirt bei Unicredit. Doch Abschottung ist gefährlich, kann die Weltwirtschaft erst recht abrutschen lassen.

Was kommt noch auf uns zu? Es ist ein Wörterbuch des Grauens. Die AZ nennt die Gefahren – und sagt, wie wahrscheinlich sie sind.

Protektionismus

Die Lage: Offiziell ist der Schutz der eigenen Wirtschaft politisch tabu. Tatsächlich gibt es ihn schon überall: Frankreich stützt die Autoindustrie mit Milliarden. Russland erhöht Zölle auf Importautos. Im US-Konjunkturpaket steht: Für Infrastruktur soll nur US-Stahl verwendet werden. Die Passage wurde lediglich entschärft. Im Ausland wird die deutsche Abwrackprämie als protektionistisch kritisiert. „Offiziell will niemand Protektionismus“, sagt Unternehmensberater Martin Hüfner. „Tatsächlich werden überall Handels-Schranken hochgezogen.“ Die Folgen. Wer seinen Markt abschottet, muss mit Vergeltung rechnen. „Dann gilt: Wie du mir, so ich dir“, sagt Hüfner. Für Export-Länder wie Deutschland ist das tödlich. Beispiel: Die Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren. In den USA wurde Protektionismus Gesetz. Der Welthandel ging drastisch zurück. Die Krise eskalierte.

Depression

Die Lage: Die Wirtschaft schrumpft rasant, die Arbeitslosigkeit steigt, die Prognosen für 2009 sind mehr als düster – nicht nur Deutschland steckt in der Rezession. So tief, dass alle Hoffnung auf den weltweiten staatlichen Konjunkturprogrammen liegt. „Es ist immens wichtig, dass die Programme greifen“, sagt Experte Andreas Rees. Darauf setzen die Unternehmen. Die Stimmung in den Firmen hat sich zuletzt aufgehellt. Bleibt der Staats-Effekt aus, „rutschen die Erwartungen ins Bodenlose“, fürchtet Rees. Das wäre der Anfang einer lang anhaltenden Krise – einer Depression. „Vom Tisch wischen darf man dieses Risiko-Szenario nicht“, sagt Rees. Die Folgen. Schrumpft die Wirtschaft auf Dauer, steigt die Arbeitslosigkeit. Aus Angst vor Jobverlust geben die Verbraucher wenig aus. Die Firmen verkaufen nichts. Die Preise sinken. Am Ende steht eine gefährliche Deflationsspirale

Deflation

Die Lage: Riesen-Rabatte bei Autos, Preisverfall auf dem Immobilienmarkt, Energie wird günstiger, Lebensmittel auch: Sinkende Preise sind Zeichen der Krise. Für die USA rechnen Experten im Frühjahr damit, dass die Preissteigerung unter Null fällt. „Auch für Deutschland ist eine solche Deflation im Laufe des Jahres zu erwarten“, meint Ökonom Martin Hüfner. Solange das nur kurz dauert, ist es nicht schlimm. „Die Verbraucher können sich freuen, wenn sie günstiger einkaufen“, meint Hüfner. Zum Problem wird die Deflation aber, wenn sie lange anhält. Die Folgen. Ist der Preisrutsch von Dauer, warten die Verbraucher ab: Wird das Auto, der Kühlschrank, der Fernseher noch billiger? Die Firmen kriegen die Ware nicht los, drosseln Produktion, entlassen Mitarbeiter, drücken Löhne. Das lässt die Kauflust der Verbraucher weiter sinken – ein Teufelskreis, der die Wirtschaft immer weiter in die Krise führt.

Staatsbankrott

Die Lage: Das Beispiel Island hat es gezeigt: Selbst Staaten sind vor einer Pleite nicht gefeit. Die Insel stand kurz vor dem Staatsbankrott. Fast alle Industrieländer greifen derzeit ihren Banken mit Milliarden-Krediten und Bürgschaften unter die Arme – und müssen sich hoch verschulden. Hinzu kommt: Die Krise lässt die Steuereinnahmen sinken. Bleiben auch noch Investoren aus, bekommt ein Land in Zahlungsprobleme. Skeptiker haben in der Eurozone schon Kandidaten für einen Staatsbankrott ausgemacht: Griechenland, Irland, Portugal. Die Folgen. Kann ein Euro-Staat seine Schulden nicht zahlen, fällt er aus dem Euro-Währungssystem. „Das wäre mit enormen Kosten verbunden – für das Land und die gesamte Eurozone“, sagt Experte Andreas Rees. Im Extremfall bricht das Euro-System auseinander. Die Angst davor ist ein Grund, warum der Euro zuletzt deutlich an Wert verloren hat.

Andreas Jalsovec

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