Wir sind dann mal weg

MÜNCHEN Am 30. März geht’s los: An diesem Tag steigt Peter Krey in den Flieger nach Singapur sieht sich den Stadtstaat für eine Woche an. Danach geht’s weiter auf die Philippinen. „Dort werde ich alle Tauchgebiete von oben bis unten abfahren“, freut sich der 54-Jährige. Zwei Monate nimmt er sich dafür Zeit.
Bis zu zehn Prozent der Arbeitszeit von zu Hause aus. Zwei Monate? Für einen normalen Jahresurlaub wäre das zu lang. Also nimmt sich Krey einen Monat Auszeit – und sein Arbeitgeber Knorr-Bremse hilft ihm dabei. Wie immer mehr High-Tech-Unternehmen, die sich im Kampf um die besten Fachkräfte bewähren müssen, hilft Knorr-Bremse seinen Mitarbeitern, wenn sie anstelle der regulären betrieblichen Arbeitszeit (in diesem Fall 42 Stunden pro Woche) ein alternatives Arbeitszeitmodell wünschen. Seit Mitte letzten Jahres gibt es bei dem Hersteller für diesen Zweck eine ganze Reihe von Angeboten. 738 der 1700 Beschäftigten in München arbeiten seitdem zum Teil von zu Hause aus. Sie erledigen bis zu zehn Prozent der Arbeitszeit am heimischen PC, sagt Marc Pastowsky, der Personalleiter von Knorr-Bremse. Das kann beispielsweise in jeder zweiten Woche der Freitag sein.
Heimarbeit eröffnet neue Möglichkeiten – beispielsweise, nebenbei für die Kinder oder einen gebrechlichen älteren Menschen ansprechbar zu sein. Theoretisch könnten Beschäftigte diese neue Freiheit ausnützen. Pastowsky bereitet diese Möglichkeit aber keine Sorgen. „Wenn jemand im Büro arbeitet, weiß ich auch nicht immer ganz genau, was er macht. Er könnte beispielsweise in der Arbeitszeit einen Brief an seinen Sachbearbeiter im Finanzamt schreiben. Die umfassende Kontrolle gibt es auch im Büro nicht.“ Anstelle dessen setzt Pastowsky auf inhaltliche Zielvorgaben. Am Ende zählt, was einer geschafft hat.
Lohneinbußen werden auf mehrere Monate verteilt. Weit weniger Resonanz als die traditionelle Teilzeit oder die Telearbeit fand bei Knorr-Bremse das Angebot, mal eine Pause einzulegen, wenn es die Arbeitsorganisation zulässt – seien es vier Wochen oder sogar ein halbes Jahr. Möglicherweise spielt das Geld eine Rolle. Bei Münchner Lebenshaltungskosten überlegen es sich Beschäftigten unter Umständen drei Mal, bevor sie auf ihren Lohn verzichten. Bisher entschlossen sich neun Männer und zwei Frauen bei Knorr-Bremse, ein so genanntes Sabbatical einzulegen, unter ihnen Peter Krey. „Ich habe auf meine Reise gespart, seit Knorr Bremse die Sabbaticals eingeführt hat“, berichtet der Computerfachmann.
Der Hersteller hilft, Engpässe zu vermeiden: Die Lohneinbußen werden auf mehrere Monate verteilt, Weihnachts- und Urlaubsgeld zum Auffüllen verwendet. Bleibt die Frage, wie die vorhandene Arbeit während der Abwesenheit verteilt werden kann – und die Unsicherheit, die einen vielleicht beschleicht, der merkt, dass seine Kollegen recht gut über eine längere Strecke ohne ihn klarkommen. „Überlegt habe ich mir das schon“, sagt Krey – am Ende überwog aber die Abenteuerlust und die Einsicht: Acht Wochen sind andere auch mal wegen einer Krankheit weg, ohne dass die Kollegen gleich an ihrer Qualifikation zweifeln.
"Wer weg war, geht mit neuem Enthusiasmus an die Arbeit" Rudolf Kielbasa geht gleich für ein halbes Jahr weg, aber auch er findet: „Eigentlich ist das ein überschaubarer Zeitraum.“ Der 53-jährige Vertriebs-Fachmann hat sich 2009 zusammen mit seiner Frau ein Haus in der Bretagne gekauft. „Das war immer mein Traum.“ An dem historischen Gebäude „muss einiges gemacht werden“, sagt er. Das Haus braucht ein neues Dach, die Mauern müssen gesichert werden – „und wenn ich erst einmal in Rente bin, steige ich wahrscheinlich nicht mehr auf eine zehn Meter hohe Leiter, um diese Arbeiten zu erledigen“. Die finanziellen Einbußen kann er verkraften, schließlich arbeitet seine Frau, und der gemeinsame Sohn wird demnächst mit dem Studium fertig. Und der Neustart nach der Auszeit? Noch hat Knorr-Bremse wenig Erfahrungen mit dem Wiedereinstieg von Mitarbeitern, die sich ein Sabbatical gönnten. Personalleiter Pastowsky ist sich aber sicher: „Wer für ein paar Monate weg war, geht mit neuen Perspektiven und frischer Energie an die Arbeit.“ sun