Wie weit darf der Staat gehen? HRE-Aktionäre sind sauer
MÜNCHEN - Bei der Hauptversammlung der Pleitebank HRE dürfen heute alle Dampf ablassen und aufs frühere Management schimpfen – viel mehr dürfen sie allerdings nicht. Die AZ ist vor Ort: Ein Stimmungbericht.
Heute darf nichts schiefgehen. In graue Fleece-Jacken gehüllt empfangen Vertreter der Pleitebank Hypo Real Estate ihre Noch-Eigentümer, die Aktionäre, vor der Messehalle. Das Einheits-Outfit sieht knuffig aus, aber die Bankangestellten treten streng auf. Ohne Eintrittskarte oder vergleichbare Papiere darf niemand ins Gebäude, und innen, an der Sicherheitsschleuse, wird dem Besucher sogar mitgebrachtes Obst abgenommen.
Tomaten oder Äpfel können also nicht fliegen, als zuerst HRE-Aufsichtsratschef Michael Endres und dann Vorstandschef Axel Wieandt sprechen. Dafür machen die Aktionäre ihrem Unmut durch Buhrufe und Pfiffe Luft. „Aufhängen!“, ruft ein Anteilseigner sogar, als Michael Endres von den früheren Bank-Bossen spricht. Michael Endres beteuert seine Unschuld und die der anderen Aufsichtsräte und Vorstände an dem Niedergang der HRE: „Keiner, ich betone, keiner der derzeitigen Vorstände und Aufsichtsräte ist in das Debakel der Bank involviert gewesen. Keiner von uns hat sich um diese Position gedrängt.“ Allein, um ein Funktionieren der Finanzbranche nach „marktwirtschaftlichen Grundsätzen“ zu gewährleisten, habe er, Endres, seine heutige Aufgabe übernommen.
Nicht mehr als ein paar Cent pro Aktie
Die Aktionäre kümmert weniger das Große Ganze, sie sehen auf ihren Depotauszug – und der wird in absehbarer Zeit keine HRE-Aktien mehr ausweisen. Die Hauptversammlung sieht eine Kapitalerhöhung vor, die dem Bund vorbehalten ist. Dadurch verringert sich der Anteil der restlichen Aktionäre auf zehn Prozent. Mit einem so genannten „Squeeze-Out“ sollen die privaten Anteilseigner schließlich ganz aus dem Unternehmen gedrängt werden – gegen Zahlung einer „Barabfindung“, die kaum mehr als ein paar Cent pro Aktie betragen dürfte.
Wie weit darf der Staat gehen?
Faktisch eine Enteigung, ein Vorgang, der die Loyalität vieler Anleger gegenüber dem Staat erschüttert. Es geht um Grundlegendes: Wie weit darf der Staat gehen? Wie heilig sind ihm die Rechte der Aktionäre? Und wie genau nimmt er’s mit der sozialen Gerechtigkeit?
Hypo-Real-Estate-Aktionär Norbert Keulich (Name geändert) aus Gauting jedenfalls hat schon seine ganz persönlichen Schlüsse aus dem HRE-Desaster gezogen. Keulich ist Beamter, aber bei der Briefwahl fürs Europäische Parlament hat er den Regierungsparteien seinen persönlichen Denkzettel verpasst, sagt er zur AZ. Union und SPD dürfen nicht auf ihn zählen. Keulich sieht sein Wertesystem angegriffen. „Ich bin kein Spekulant“, ärgert er sich, „ich will auch nicht wie ein Spekulant behandelt werden.“
50 Wortmeldungen verzeichnet das Protokoll, 27 Gegenanträge sind eingegangen, viele von wütenden Kleinaktionären, manche unbeholfen formuliert. Hans-Jürgen Helbig aus Eutin lehnt die Kapitalerhöhung – die Voraussetzung für die Verstaatlichung – „in vollem Umfang“ ab. „Das geschieht aus meinem in 60 Jahren gewachsenen Demokratieverständnis, den Grundregeln des Grundgesetzes und den bisher bekannten Gepflogenheiten unter Kaufleuten.“
Das Depot als Notgroschen
Gisela Engelmann aus Mering fordert Rücksichtnahme auf die sozial Schwachen: „Machen Sie einen Unterschied zwischen Zockern und langfristigen Klein-Anlegern“, verlangt sie. Für ihre HRE-Aktien will sie mehr bekommen als nur einen symbolischen Betrag. „Ich bin Rentnerin und das Depot ist mein Notgroschen.“ Auch Norbert Keulich findet, Kleinaktionäre wie er hätten staatlichen Schutz verdient. „Die Bundesregierung hat immer empfohlen, Aktien zu kaufen“, sagt er. Jetzt gehöre bei der HRE-Verstaatlichung „die soziale Komponente einfach dazu“.
Sie alle dürfen heute Dampf ablassen, dürfen aufs frühere Management schimpfen – viel mehr dürfen sie nicht. Zuviele Aktionäre haben ihre Anteile schon an den Bund verkauft. Berlin besitzt 47,3 Prozent der Aktien, genug, um auf der Hauptversammlung mit faktischer Mehrheit die Abstimmung zu dominieren. Die weitere Zukunft der Bank skizziert Vorstandschef Axel Wieandt. Unbeteiligt wie ein Pathologe seziert er den Niedergang der früheren Hypo-Vereinsbank-Abspaltung HRE: Den Zusammenbruch des Markts für Immobilienkredite in den USA, die kurzfristige Absicherung der langfristigen Schulden der HRE-Tochter Depfa: „Dieses Geschäftsmodell hat sich als nicht krisenfest erwiesen.“
Die alte Hypo Real Estate wird zu Grabe getragen
Die Beinahe-Insolvenz im vergangenen Herbst, die Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen des Bundes über insgesamt 102 Milliarden Euro. Wieandt wird nicht müde, zu betonen, dass die HRE auch weiterhin die Unterstützung des Stabilisierungsfonds Soffin brauchen wird. 2009 und 2010 seien „erwartete und unerwartete“ Verluste abzufedern, sagt er.
Die Hypo Real Estate – ein Fass ohne Boden? Die Aktionäre kümmert vorerst weniger das Gemeinwohl, sie sehen die eigenen Verluste, die für manchen in die Zehntausende gehen – und sie sind entschlossen, sich heute nicht kurz abfertigen zu lassen. Immer wieder gellen Pfiffe. Und als ein Vertreter des Stabilisierungsfonds Soffin ans Rednerpult tritt und vom „Interesse der Allgemeinheit“ spricht, skandieren sie „Aufhören! Aufhören!“. Umsonst. Die Hypo Real Estate, so wie sie bisher bestand, wird heute zu Grabe getragen – und kein noch so wütender Aktionärsprotest wird dies verhindern.
Susanne Stephan
- Themen:
- Europäisches Parlament
- SPD