Wie Niedrigzinsen ihr Erspartes vernichten

Die extrem niedrigen Zinssätze vernichten Vermögen. Warum das so ist, welche Sparer es besonders trifft und welche Auswege der oberste Sparkassen-Chef sieht
von  Georg Thanscheidt
Georg Fahrenschon: Niedrigzinsen kosten jeden Deutschen mindestens 250 Euro.
Georg Fahrenschon: Niedrigzinsen kosten jeden Deutschen mindestens 250 Euro. © dpa

Die extrem niedrigen Zinssätze vernichten Vermögen. Warum das so ist, welche Sparer es besonders trifft und welche Auswege  der oberste Sparkassen-Chef sieht

Es ist fatal: Wer spart, verliert Geld. Geld, das er dringend braucht oder eingeplant hat – für die Rente, für eine Wohnung oder ein neues Auto. Die extrem niedrigen Zinsen in Europa und Deutschland vernichten Vermögen. Der Leitzinssatz der Europäischen Zentralbank liegt so niedrig wie nie – er beträgt derzeit 0,5 Prozent – und wird vermutlich noch lange auf diesem Niveau liegen.

Diese Niedrigzinsphase trifft die Sparer und Anleger doppelt: Zum einen, weil sie für ihr Geld von Banken und Sparkassen derzeit im Schnitt auch nur Micker-Zinsen bekommen: Im Schnitt waren das gestern 0,61 Prozent fürs Tagesgeld und gerade mal 1,25 Prozent für vierjährige Sparbriefe. Die Inflation liegt derzeit – trotz der Geldschwemme der Zentralbank – nicht besonders hoch. Aber auch die aktuell in Deutschland gemessenen 1,4 Prozent führen dazu, dass Sparer in der Regel Geld verlieren, statt Vermögen aufzubauen.

„Die reale Verzinsung, das heißt Zinsen minus Inflation, ist negativ. Der Sparer tappt in die ,Realzinsfalle’“, warnte Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater bereits im August. Was diese „Realzinsfalle“ für Anleger heißt, hat die AZ einmal nachgerechnet – in der Tabelle (ganz unten) sehen Sie, was passiert, wenn Sie es zu jetzt gängigen Konditionen anlegen – und wie viel Ihr Geld noch wert wäre, wenn die Inflation (günstigstenfalls) auf dem jetzigen Niveau verharren würde. So bekommt ein Anleger von 10000 Euro zwar nach zehn Jahren 11 300 Euro ausgezahlt – die Inflation hat in der Zeit aber dafür gesorgt, dass das Geld real nur noch 9850 Euro wert ist.

Der zweite Effekt, der es Sparern schwer macht: Weder sie, noch Banken, Sparkassen oder Versicherungen haben mit so einer Niedrigzinsphase gerechnet – im wahren Sinn des Wortes. Gerade Lebensversicherungen haben vor 20 Jahren mit Zinsen von mehr als vier Prozent kalkuliert – und diese zum Teil auch garantiert. Derzeit liegt der Garantiezins bei 1,75 Prozent. Die Anleger merken das in der Regel an der sogenannten Überschussbeteiligung – die sinkt. Und macht vielen einen Strich durch die Renten- oder Immobilien-Rechnung.

Letzteres ist zum Beispiel bei AZ-Leser Moritz M. der Fall – für ihn klingen die Versprechungen der Versicherer wie blanker Hohn: „Unsere Produkte sind der ideale Baustein für eine langfristige Vorsorge“, muss er auf Seite 1 des Schreibens der Versicherungskammer Bayern lesen. M. hatte vor zwölf Jahren eine Lebensversicherung bei der Versicherungskammer abgeschlossen. Auf der dritten Seite des Anschreibens vom Juni dieses Jahres wird deutlich, wie „ideal“ die Vorsorge war: Von der einst versprochenen Überschussbeteiligung von 27151 Euro sind noch genau 5454 Euro übrig geblieben.

M. muss also einen Verlust von fast 21 700 Euro hinnehmen. Für ihn ist das besonders bitter, denn M. hatte die Lebensversicherung zur Tilgung eines Immobiliendarlehens abgeschlossen. Ihm bleibt nun nichts anderes übrig, als die Zinsen für das Darlehen noch jahrelang weiterzuzahlen. Ein grobes Ärgernis, das M.mit fast allen Anlegern in Deutschland teilt.

Wie groß der Verdruss – auch auf Seiten der Kreditinstitute – ist, machte gestern Bayerns ehemaliger Finanzminister Georg Fahrenschon, der jetzt Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes ist, in Berlin deutlich. Dort hielt er auf dem Forum des „Deutschen Instituts für Altersvorsorge“ einen Vortrag mit dem Titel: „Enteignung per Niedrigzins: Die Folgen für Sparer, Kreditinstitute und Altersvorsorgeeinrichtungen.“

Fahrenschon warnt, dass die Zinspolitik der EZB „die Menschen in doppelter Hinsicht belastet“: Zum einen bei der Altersvorsorge. Hier werden sie alleine gelassen, weil Lebensversicherer kaum noch die Garantiezinsen erwirtschaften können, Pensionsfonds Probleme haben und auch „einlagenstarke Finanzdienstleister unter Druck kommen“. Zum andern „enteignet die Politik des niedrigen Zinses konkret die deutschen Sparer“. Es sei von der europäischen Politik „nicht verursachergerecht“ die Anleger kalt zu enteignen mahnt der oberste Sparkassen-Chef.

Dabei nennt er auch konkrete Zahlen: Pro Jahr entgehen allein den Sparkassen durch die Mickerzinsen Überschüsse in Höhe von 500 Millionen Euro. Dem deutschen Sparer gehen zwischen 5 und 15 Milliarden Euro verloren – vernichtet durch die Differenz zwischen den derzeit niedrigen Zinsen und leicht darüber liegender Inflationsrate. „Das ergibt im günstigsten Fall Verluste von 250 Euro pro Kopf und Jahr. Eine Menge Geld, verglichen mit der letzten Kindergelderhöhung. Die betrug 240 Euro für ein Jahr“, so der Ex-Minister.

Und der Ausweg aus der Misere? Schwierig. Fahrenschon schlägt vor, die Riester-Rente auszubauen und zu vereinfachen. Und besonders Geringverdienern mehr staatliche Förderung zukommen zu lassen, zum Beispiel über höhere Zulagen für vermögenswirksame Leistungen oder Einkommensgrenzen. Junge Menschen sollen mit einem „Berufseinsteigerbonus“ in Vorsorgeverträge gelockt werden.

Und wer zahlt das? Wenn es nach Fahrenschon geht: der Steuerzahler. „Das ist nur fair, wenn der Staat das durch die Niedrigzinsphase bei seinem Schuldendienst eingesparte Geld gerade den Geringverdienern über die Sparförderung zurückgibt.“ Dann wird Fahrenschon volkstümlich: „Wer sich im Alter wärmen will, muss sich in der Jugend einen Ofen bauen. Es ist unsere Aufgabe als Finanzwirtschaft, daran mitzuwirken, dass dieser Grundsatz mit Leben erfüllt wird.“ Denn sonst – so könnte man hinzufügen – schaut man womöglich mit dem Ofenrohr ins Gebirge.

Tabelle: Was Niedrigzinsen mit ihrem Geld machen:

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