Wie lange hält das Netz?

Weltweit sollen 7000 Jobs bei Siemens Enterprise wegfallen – aber noch gilt die Stellengarantie. Die AZ hat sich am Münchner Standort Hofmannstraße umgesehen.
von  Abendzeitung
Produktion bei Siemens Enterprise: Bis Ende September 2009 sind die Beschäftigten vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt.
Produktion bei Siemens Enterprise: Bis Ende September 2009 sind die Beschäftigten vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt. © Siemens

MÜNCHEN - Weltweit sollen 7000 Jobs bei Siemens Enterprise wegfallen – aber noch gilt die Stellengarantie. Die AZ hat sich am Münchner Standort Hofmannstraße umgesehen.

„Nicht gut. Was soll machen?“ Große Reden scheinen nicht die Stärke der Büro-Botin zu sein, und die deutsche Sprache bereitet ihr Mühe. Aber über den Tisch will sie sich trotzdem nicht ziehen lassen, jetzt, wo so viel auf dem Spiel steht. Ihr Chef hat sie gefragt, ob sie mit einer Abfindung Siemens verlassen wolle: „Nein“, sagt sie resolut. „Mit 56 kriege nix mehr.“

Montag früh. Die 6200 deutschen Beschäftigten von Siemens Enterprise Networks (SEN) wurden am Wochenende von der Nachricht überrascht, es stehe der Abbau von 2000 Arbeitsplätzen an – und der Verkauf zumindest einzelner Unternehmensteile. Insgesamt sollen in Deutschland 3000 Stellen wegfallen – das wäre fast jeder zweite Beschäftigte. Weltweit geht es um 7000 von 17500 Jobs.

"Krasse Managementfehler"

Die Empörung eint die Beschäftigten: „Traurig, einfach traurig“, sagt ein Siemensianer am Münchner Standort Hofmannstraße, der vermutlich mit am meisten bluten soll. Ein anderer wettert über „krasse Managementfehler“, die SEN auf den Hund gebracht hätten. Um die Schieflage des früheren Kommunikations-Bereichs Com, zu dem auch das Geschäft mit Telefonanlagen gehörte, auszubügeln, habe SEN unter einem desaströsen Sparkurs gelitten. „Es wurde nichts investiert. Immer waren übergeordnete Interessen wichtiger. Es zählten nur die Zahlen, die der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz vorgelegt wurden“, sagt ein Mann. „Man müsste sich zwei, drei Jahre Zeit nehmen, sanieren, Experten reinholen. Dann wäre die Basis eine andere.“

Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Die Wut der SEN-Mitarbeiter ist groß, aber noch größer ist die Angst, sich mit unliebsamen Äußerungen selbst auf die Abschussliste zu setzen.

Arbeit gibt's genug

SEN-Betriebsrat Thomas Dornfeld glaubt nicht an die Mär von der ausweglosen Lage, die zum Massen-Jobabbau zwinge. „Wir haben nicht eine einzige Abteilung, die arbeitslos wäre“, sagt er. „Die Cebit steht vor der Tür, wir haben neue Produkte, neue Technologien. Unsere Chancen sind gut, aus dem Minus herauszukommen.“ Die Zahlen über einen geplanten Jobabbau könnten gezielt lanciert worden sein, argwöhnt er, um den Bereich in den Augen eines potenziellen Käufers aufzuhübschen.

Möglich wär’s. Wirklich Sinn macht die Ankündigung eines Massen-Kahlschlags bei SEN zurzeit nämlich nicht. Der Konzern hat sich gegenüber den Beschäftigten vertraglich verpflichtet, bis zum 30. September 2009 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Will er jetzt doch im großen Stil Leute loswerden, muss er Geld auf den Tisch legen, und zwar nicht zu knapp. Bei den bisherigen Rotstift-Aktionen namen Beschäftigte, die gut verdienten und Zeit ihres Berufslebens bei Siemens arbeiteten, bis zu 200000 Euro mit.

Beratungen über Personalplan

Am Dienstag trifft sich der Wirtschaftsausschuss, in dem Manager und Betriebsräte über den Personalplan für die nächsten Jahre beraten. Dann muss SEN-Geschäftsführer Reinhard Benditte die Karten auf den Tisch legen – und sagen, wie er überzählige Mitarbeiter loswerden will.

Währenddessen geht die Arbeit in den übrigen Siemens-Bereichen weiter. Ein neuer Mitarbeiter beim Siemens-Nokia-Gemeinschaftsunternehmen NSN lässt sich in der Hofmannstraße einen Firmenausweis ausstellen. Auch bei NSN werden Stellen gestrichen. Hat er Angst vor der Zukunft? „Ich komme von Lucent“, sagt er lakonisch. „Da wird auch Personal abgebaut.“

sun

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