Wie geht's Deutschland?

Die Bundesrepublik trotzt der Schwäche in Europa – die Wirtschaft ist um 0,4 Prozent gewachsen. Und zwar nur dank des Konsums, während der Export schwächelt. Die Bilanz für 2013
von  tan
Alljährlicher Kassensturz des Statistischen Bundesamts: Wie wirtschaftet Deutschland?
Alljährlicher Kassensturz des Statistischen Bundesamts: Wie wirtschaftet Deutschland?

Die Bundesrepublik trotzt der Schwäche in Europa – die Wirtschaft ist um 0,4 Prozent gewachsen. Und zwar nur dank des Konsums, während der Export schwächelt. Die Bilanz für 2013

BERLIN Kassensturz: Das Statistische Bundesamt hat gestern sein großes Rechenwerk vorgelegt, wie Deutschland im Jahr 2013 gewirtschaftet hat. Fazit: Es hat sich halbwegs wacker geschlagen – und zwar vor allem dank der konsumfreudigen Verbraucher. Die AZ gibt den Überblick über die Entwicklungen.

Wie geht’s dem Wachstum? Unter dem Strich lag das Wirtschaftswachstum bei 0,4 Prozent. Das kann man jetzt von mehreren Seiten betrachten: Es ist besser als der Schnitt der Euro-Zone (minus 0,4), es ist besser als in Deutschland im Rezessionsjahr 2009. „Deutschland liegt damit in Europa vorn“, so Roderich Egeler, Präsident des Statistischen Bundesamts. Aber es ist schlechter als in all den Jahren dazwischen – 2011 waren es sogar 3,3 Prozent. Es ist auch schlechter als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre (1,2 Prozent). Und es ist schlechter als erwartet. „Offensichtlich wurde die deutsche Wirtschaft durch die anhaltende Rezession in einigen europäischen Ländern und eine gebremste weltwirtschaftliche Entwicklung belastet“, so Egeler. Aber es ist immerhin ein Plus – und so war auch die Bewertung gestern: Deutschland trotzt der Schwäche in Europa und kann sich dem Sog entziehen.

Wer hat wie viel dazu beigetragen? „Der Konsum war die einzige Stütze des Wachstums“, sagt der Chef-Statistiker. Das war viele Jahre anders: Da trieb immer der Export die deutsche Wirtschaft an, während der Binnenkonsum schwächelte. Jetzt ist es exakt umgekehrt: Die Außenhandelsbilanz war sogar für ein Minus von 0,3 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (siehe Kasten) verantwortlich: weil die Importe deutlich stärker zulegten als die nur noch minimal wachsenden Exporte. Ohne die starken Ausgaben der privaten Haushalte (plus 0,9 Prozent) und des Staates (1,1 Prozent) wäre Deutschland in die Rezession gerutscht.

Wie geht’s den Schulden? Naja. Nach einem Mini-Plus im Jahr 2012 gab es nun ein Mini-Minus: Das Defizit liegt nun bei 0,1 Prozent des BIP. Das liegt tadellos im Rahmen der Maastricht-Kriterien, die ein Minus von bis zu 3,0 Prozent erlauben (diese Latte hat Deutschland früher öfters mal gerissen). Aber: Die Neuverschuldung lag immer noch bei 22,1 Milliarden Euro. Während Sozialkassen und Kommunen kräftig Überschüsse machten, sind Bund und Länder weiter im Minus.

Wie geht’s den Branchen? Wachstumssieger sind die Unternehmensdienstleister (plus 3,4 Prozent), auch Kommunikation, Handel, Verkehr und Gastgewerbe zogen überdurchschnittlich an. Das produzierende Gewerbe stagniert (exakt 0,0). In der Landwirtschaft gibt es einen leichten Rückgang (minus 0,1), im Bau einen stärkeren (minus 1,2), bei Finanz- und Versicherungsdienstleistern einen drastischen (minus 4,9 Prozent).

Wie geht’s dem Arbeitsmarkt? Ziemlich gut. „Das ist sehr bemerkenswert“, sagte Chef-Statistiker Egeler. „Im siebten Jahr in Folge haben wir einen neuen Rekord bei der Zahl der Erwerbstätigen.“ Jetzt sind es 41,8 Millionen. Die Arbeitslosenquote ging entsprechend auf 5,2 Prozent zurück, der niedrigste jemals im vereinten Deutschland gemessene Wert. Und: Die Einkommen der Arbeitnehmer stiegen mit 2,9 Prozent in etwa gleich stark wie die Einkommen aus Unternehmen und Vermögen (2,8). Die Schere schließt sich also gerade wieder – ab 2004 waren die Vermögenseinkommen deutlich stärker gestiegen als die der Arbeitnehmer. Positiv auf die reale Kaufkraft wirkt sich auch die mit 1,5 Prozent unerwartet niedrige Inflationsrate aus.

Wie geht’s der Welt? Besser. Das glaubt jedenfalls der Konjunkturausblick der Weltbank, der gestern vorgelegt wurde. Während die Schwellen- und Entwicklungsländer weiter zulegen, könnten auch die alten Industrieländer ihre Krise langsam abschütteln. Das weltweite Bruttoinlandsprodukt sei 2013 um 2,4 Prozent gestiegen, heuer sollen es 3,2 Prozent sein. Und das könnte auch Deutschland mitziehen: Für 2014 jedenfalls sehen die Prognosen rosiger aus als die Bilanz 2013.

Wie geht's Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern? Der übermächtige Wirtschaftsriese Deutschland: Dieses Bild hat lange die Debatte in der EU bestimmt. Doch wenn man die Zahlen genau anschaut, ist es gerade mal hauchdünn besser als der Durchschnitt. Mit seiner Wettbewerbsfähigkeit, seiner Exportstärke erdrücke Deutschland die anderen Länder: Dieser Vorwurf war in den vergangenen Monaten oft zu hören. Leicht pampig kam dann meist aus Berlin zurück: Ja, sollen wir denn extra schlechter werden?

Dabei: So enorm ist die Wirtschaftskraft von Deutschland gar nicht. Klar, durch die schiere Masse an Einwohnern ist es als größtes Land der EU auch die größte Wirtschaftsmacht. Wenn man aber die Wirtschaftskraft pro Einwohner betrachtet, ändert sich das Bild sehr deutlich.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat sich damit befasst (auf der Basis 2012, weil noch nicht überall die runtergerechneten Daten vorliegen). Sie zieht eine Linie von 100 Prozent: Das ist der exakte Durchschnitt aller EU-15-Staaten (die alte Kern-EU mit den 15 Ländern, die am längsten dabei sind). Betrachtet wird das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Und da kommt Deutschland 2012 gerade mal auf einen Wert von 104 – minimal über der Durchschnittslinie. Fast alle Nachbarn aus der EU-15-Gruppe schneiden besser ab: Österreich mit 117 Prozent des Durchschnitts, Belgien und Dänemark mit 112, die Niederlande mit 114. Selbst das vielgescholtene Frankreich lag 2012 mit 102 Prozent in Sachen Wirtschaftskraft pro Einwohner nahezu gleichauf mit Deutschland (siehe Grafik rechts). Schlechter sind nur die Krisenstaaten wie Spanien, Griechenland, Portugal und Italien.

Eigentliches Ziel der IW-Studie war die Frage, wie sich dieses Ranking entwickelt hat. Als die EU (damals EWG) 1957 gegründet wurde, war es die erklärte Absicht, dass sich der Lebensstandard annähert. Deswegen wurde untersucht, wie viel Prozent des (damaligen) Durchschnitts die Länder 1950 erreichten, und wie viel heute. Deutschland war damals unterdurchschnittlich (90), lag sogar vor der Krise 2008 mit 98 Prozent unter der Marke und hat sie jetzt erst überschritten. Österreich dagegen hat uns überholt: Es kam von weit unten – 1950 hatte es 78 Prozent des Durchschnitts, jetzt 117.

Zu den Absteigern gehört neben den skandinavischen Staaten auch Großbritannien: Früher hatte es 146 Prozent der durchschnittlichen Wirtschaftskraft, heute noch 108. Bei den Krisenländern ist auch die Zwischenetappe – wie war es vor der Eurokrise? – spannend. Griechenland startete 1950 mit 40 Prozent, kam 2008 auf immerhin 73 und ist jetzt wieder 60 Prozent zurückgefallen.

 

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