Werbung: Real und Post filmen heimlich Kunden! Anzeige von Datenschützern

Erinnern Sie sich noch an den Film Minority Report? Werbetafeln, die die Menschen vor sich erkennen? Was damals Science Fiction war, ist 15 Jahre später Realität geworden und ruft Datenschützer auf den Plan.
von  Christoph Elzer
Big Brother in der Kassenschlange: Real und die Deutsche Post filmen ihre Kunden heimlich. (Symbolfoto)
Big Brother in der Kassenschlange: Real und die Deutsche Post filmen ihre Kunden heimlich. (Symbolfoto) © dpa/Real

Erinnern Sie sich noch an den Film Minority Report? Dort geht Protagonist Tom Cruise an einer digitalen Werbetafel vorbei und plötzlich wird ihm seine Lieblings-Biersorte angezeigt. Das war 2002 und nannte sich damals Science Fiction. 15 Jahre später ist dieses Zukunftsszenario Realität geworden und ruft Datenschützer auf den Plan.

Die Supermarktkette Real und die Deutsche Post testen seit Herbst 2016 still und heimlich in jeweils 40 Filialen eine entsprechende neue Werbe-Technologie. Kleine Kameras im Kassenbereich erfassen die wartenden Kunden und kategorisieren sie: Männlich oder Weiblich? Alt oder jung? Aufmerksam oder abgelenkt? Und künftig will man auch noch die getragene Kleidung, die Körperhaltung und die zur Schau gestellten Emotionen erfassen.

Aus diesem Konglomerat an Daten erstellt die Werbe-Software dann binnen Sekundenbruchteilen ein Profil des Wartenden, sie klassifiziert den Kunden also beispielsweise als abgelenkten jungen Mann oder aufmerksame ältere Dame. Auf einer digitalen Werbetafel im Sichtfeld der Person wird dann genau die passende Werbung eingeblendet. Der junge Mann könnte dann zum Kauf eines kühlen Bieres animiert werden, die ältere Dame hingegen bekommt die Handcreme angezeigt, die aktuell im Angebot ist.

Der Kunde erfährt nicht, ob er gefilmt und analysiert wird

Darüber, dass eine solche Technologie eingesetzt wird, informieren weder Real noch die Post ihre Kunden. Laut Real sei der seit jeher gut sichtbar angebrachte Hinweis "Dieser Markt wird videoüberwacht" völlig ausreichend. Dass nahezu alle Kunden darunter nur verstehen, dass eine Überwachung gegen Diebstahl stattfindet, ist für den Konzernsprecher kein Problem.

Real und Post betonen, dass die erhobenen Daten nicht gespeichert werden: "Die aufgenommenen Bilder werden rein automatisch ausgewertet und dann sofort wieder verworfen. Die Bilder sind nur für jeweils ca. 150 Millisekunden im Speicher und werden weder übertragen noch gespeichert", heißt es. "Das Recht am eigenen Bild wird daher nicht berührt, die Erkennung der Personen erfolgt komplett anonym", sagt eine Unternehmenssprecherin.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich würde der Kunde mit der zweiten Evolutionsstufe der Analysesoftware innerhalb eines Wimpernschlags komplett durchleuchtet werden – und dabei ist völlig unerheblich, ab die Daten dann archiviert oder direkt wieder gelöscht werden. Die Kleidung lässt Rückschlüsse auf die finanzielle Lage, also die Kaufkraft der Person zu, die Körperhaltung verrät unter Umständen körperliche Gebrechen und Emotionen wie Freude oder Trauer lassen sich ganz hervorragend werbetechnisch verarbeiten.

Gläserner Kunde: Amazon macht es vor, Supermärkte ziehen nach

Dass die Supermärkte scharf auf diese Daten sind, ist nur verständlich. Denn im Gegensatz zur ohnehin schon sehr mächtigen Online-Konkurrenz wissen sie kaum etwas über ihre einzelnen Kunden. Je nachdem, wie viel man bei Amazon einkauft, kann der Online-Händler ein geradezu erschreckend präzises Bild des Kunden erstellen: Wie sich die Kleidergrößen entwickeln, wann Kondome und wann Babysachen gekauft werden, ob man Actionfilme mit viel Gewalt oder romantische Komödien bevorzugt und ob man im Kellerabteil ein Ungezieferproblem hat. Jeder einzelne Kauf präzisiert das Gesamtbild – und dementsprechend kann Amazon dem Kunden auch immer besser neue Produkte empfehlen und so die Chance, dass es tatsächlich zum Kauf kommt deutlich erhöhen. All das geht dem stationären Handel ab und deshalb versucht man nun, mit Kameras dagegenzuhalten.

Die Technologie dafür kommt aus Bayern, vom Augsburger Unternehmen Echion. Dort hat man sich bislang eher um die Beschallung von Shops gekümmert, also das allseits bekannte Supermarkt-Radio. Nun versucht man, mit Kameras, Bildschirmen und schlauen Daten-Algorithmen ein völlig neues Werbeumfeld zu schaffen. Allerdings schickt sich ein Bielefelder Datenschützer-Verein an, den Augsburgern einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Digitalcourage e.V. setzt sich seit 1987 für Datenschutz und Bürgerrechte ein und verleiht seit 2000 die BigBrotherAwards (von denen kürzlich auch die Münchner Universitäten einen bekamen). Nun haben die Bielefelder Datenschützer gegen die Post und gegen Real Strafanzeige erstattet. "Die Erhebung der Daten sowie deren Verarbeitung und Nutzung sind rechtswidrig, da es sich um personenbezogene Daten nach §§ 6b, 3 Abs. 1 BDSG handelt", sind sie überzeugt. Die Erhebung dieser Daten ohne ausdrückliche Einwilligung des Kunden wäre damit illegal.

Wenn der Supermarkt Dinge weiß, die man nicht mal dem besten Freund erzählen würde

Darüber hinaus zeichnet Digitalcourage noch ein düsteres Bild, wie aus den vermeintlich harmlosen Daten schnell komplexe Personenprofile entstehen könnten. Sobald die Videodaten mit EC- oder Kreditkartenzahlungen und Rabattsystemen wie Payback verknüpft würden, würde der Supermarkt Dinge über den Kunden erfahren, die der vermutlich niemals Freunden und schon gar nicht Fremden erzählen würde, so Digitalcourage: "Frau Mitte zwanzig, zum ersten Mal von der Kamera registriert am 8. April 2017; kommt zwei bis viermal pro Woche, verbringt durchschnittlich 38 Minuten am Point of Sale, kauft gerne Fleisch von der Hausmarke, Süßigkeiten mit Süßungsmitteln, Zigaretten, im Juni 2017 auch einen Schwangerschaftstest; kauft ab eine Woche vor Monatsende keine Markenprodukte mehr. Beobachtet Bildschirm auffällig lange bei Werbung für Frauenunterwäsche."

Markus Kampa ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und hat für den Verein die Strafanzeigen aufgesetzt. Er ist überzeugt: "Wenn diese Firmen nichts dabei finden, die Präferenzen ihrer Kunden auszuforschen, bleibt unverständlich, warum sie dies heimlich tun. Dieses System könnte einen Dammbruch weiterer Begehrlichkeiten der Werbeindustrie nach sich ziehen, die uns bereits heute online bis in privateste Bereiche ausspioniert. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kann nur dann durchgesetzt werden, wenn Kunden eine Chance zur Beurteilung haben, ob sie getrackt werden – und die Möglichkeit, dem zu widersprechen."

Die AZ hat Real und die Deutsche Post zu den Vorwürfen der Datenschützer befragt. Real wollte zu der Strafanzeige keine Stellung beziehen, da diese noch nicht bei ihnen eingegangen sei und dementsprechend noch nicht inhaltlich geprüft werden konnte. Grundsätzlich bestätigte man aber den Einsatz des Systems mit dem "Ziel, die Qualität der ausgestrahlten Werbefilme zielgruppenorientiert anzupassen". Dass dabei keine Persönlichkeitsrechte verletzt würden, hätte das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht in einem Prüfbericht Anfang Juni bestätigt. Die Post reagierte auf die Anfrage der AZ nicht.

Konkrete Filialen, in denen die neue Werbetechnologie bereits zum Einsatz kommt, wollte Real zwar nicht nennen, man bestätigte aber, dass München und Augsburg zum Testgebiet gehören.

Lesen Sie auch: AZ-Finanztipps - Online-Banking: So schützen Sie sich vor Betrügern

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.