Von Job zu Job

Immer weniger Menschen haben eine unbefristete Stelle, fast jeder Zweite unterschreibt einen Vertrag auf Zeit. Betroffene berichten von den Vor- und Nachteilen der permanenten Unsicherheit
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Idylle im Biergarten
abendzeitung Idylle im Biergarten

Immer weniger Menschen haben eine unbefristete Stelle, fast jeder Zweite unterschreibt einen Vertrag auf Zeit. Betroffene berichten von den Vor- und Nachteilen der permanenten Unsicherheit

MÜNCHEN/NÜRNBERG Heiko Kunkel ist 32 Jahre alt, genau das richtige Alter, um eine Familie zu gründen. Eigentlich kann sich der ehemalige Montageschreiner ein Leben mit Kindern vorstellen – aber die Familienplanung liegt noch auf Eis. „Ich habe vor kurzem einen Ein-Jahres-Vertrag unterschrieben“, sagt er. Und ohne langfristige finanzielle Perspektive fällt die Entscheidung für Nachwuchs schwer.

Kunkel arbeitet zurzeit bei einem Online-Marketing-Unternehmen. Er gehört zum stetig wachsenden Heer von Menschen, die ohne die Sicherheit einer unbefristeten Arbeitsstelle auskommen müssen. Ob bei privaten Wach- und Schließ-Diensten, in der Forschung oder bei IT-Unternehmen: Fast jeder zweite, der eine neue Stelle antritt, bekommt nur noch einen Job auf Zeit, berichtet Martin Dietz vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Vor allem im Dienstleistungsbereich würden viele Unternehmen befristete Neueinstellungen bevorzugen. Auch der öffentliche Dienst stellt größtenteils nur noch befristet ein.

Psychologischer Druck mit befristeten Verträgen

Schon Kunkels früherer Arbeitgeber, ein Call-Center, das unter anderem für die Bundesagentur für Arbeit tätig war, vergab nur befristete Stellen. Die Firma machte sich die Jobangst der Beschäftigten gezielt zunutze, berichtet Kunkel. „Da wurde psychologischer Druck aufgebaut“. Wer um die Verlängerung seines Vertrages bangen muss, engagiert sich nicht im Betriebsrat, muckt im Alltag nicht auf – aus Sicht der Chefs der ideale Beschäftigte. Immerhin hofft Kunkel jetzt auf einen unbefristeten Vertrag im Anschluss an seine aktuelle Ein-Jahres-Stelle.

Auch Adrian Gruchot weiß noch nicht, wovon er auf mittlere Sicht leben wird. Der 27-Jährige hat in den letzten Monaten hunderte Bewerbungen verschickt – doch alles, was ihm angeboten wurde, war eine Büro-Tätigkeit bei einem gemeinnützigen Verein. Zuerst hieß es, Gruchot könne dort bis Juli arbeiten. Auf dem Vertrag, den er schließlich unterschrieb, stand als letzter Arbeitstag der 31. Mai.

Gruchot fühlt sich hingehalten – andere Beschäftigte können dagegen gut mit befristeten Verträgen leben. Christophe Jung beispielsweise, der am Genzentrum der Münchner Ludwigs-Maximilians-Universität arbeitet. Während der letzten Jahre bekam er nur Stellen auf Zeit. Wieviele Verträge er insgesamt unterschrieben hat, weiß er heute nicht mehr. Zu Jungs Glück hat die Mutter seines fünfjährigen Sohnes einen guten Job beim Patentamt – andernfalls hätte die junge Familie wohl Grund zur Nervosität gehabt. Trotzdem beklagt sich der 36-Jährige nicht: „Es ging für mich immer weiter. Ich habe mich nie unter Druck gefühlt.“

Keine Langeweile dank immer neuen Projekten

Dass befristete Arbeitsverhältnisse sogar Vorteile haben, findet auch Josef Hölz*, der ebenfalls an der Ludwigs-Maximilians-Universität forscht. Wäre Hölz als akademischer Rat mit einem festen Vertrag ausschließlich in der Lehre tätig, würden sich die Inhalte seiner Arbeit irgendwann wiederholen, fürchtet er. In der Forschung komme dagegen keine Langeweile auf.

Dafür nimmt Hölz – zumal seine Kinder schon aus dem Haus sind – die wirtschaftliche Unsicherheit in Kauf, die sich daraus ergibt, dass seine Forschungsprojekte in der Regel von so genannten Drittmitteln abhängig sind. Normalerweise zahlt eine Firma oder eine öffentliche Einrichtung, damit sich die Universität eines bestimmten Themas annimmt. Ist das Projekt abgeschlossen, gibt's kein Geld mehr - dafür wartet, wenn alles gut geht, der nächste Forschungsauftrag auf Hölz. Beängstigend?„Da ist Abwechslung garantiert", sagt er. sun

*Name geändert

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
Teilen
lädt ... nicht eingeloggt
 
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.