Verzweifelter Jubel für die Chefin
HERZOGENAURACH - Mit einer Großdemo protestieren die Mitarbeiter des angeschlagenen Schaeffler-Konzerns in Herzogenaurach für Staatsknete. Ihre Chefin Maria Elisabeth Schaeffler marschiert mit - und ist zu Tränen gerührt. Die Schuld an der Misere geben Mitarbeiter und Firmen-Inhaberin den Banken.
Und plötzlich steht sie da. Keiner hat mit Maria-Elisabeth Schaeffler gerechnet. Da tritt die Unternehmerin aus ihrem Verwaltungsgebäude. Ihr Outfit hat gar nichts mehr von dem schillernden Pelzmantel-Auftritt vor ein paar Wochen: schlichter beiger Hosenanzug, ein sportlicher Anorak, dezenter Schal. Die Haare hat die 68-jährige Konzernchefin streng zum Zopf gebunden.
Ihre Mitarbeiter wollen an diesem kalten Mittwoch dafür demonstrieren, dass der Staat ihrem Unternehmen hilft. Und sie wollen ihren Zorn zum Ausdruck bringen. Darüber, dass der Staat Banken hilft, aber bei Schaeffler zögert. Dass die Finanzkrise, die irgendwo in Amerika ihren Anfang nahm, jetzt den Familienkonzern ruiniert, das will ihnen nicht in den Kopf. Kritik an ihrer Chefin lassen die Herzogenauracher nicht gelten.
Maria-Elisabeth Schaeffler will lachen, Optimismus verbreiten. Das ist sie ihren 66000 Mitarbeitern schuldig. Als die ersten die Chefin entdecken, fangen sie zu klatschen an. Frau Schaeffler winkt. Der Beifall wird immer lauter, die ersten fangen an zu schreien.
Sie kneift die Lippen zusammen und winkt
Zu viel Emotionen für William Peetz. Der 59-Jährige, der seit 1963 in der Unternehmens-Sicherheit arbeitet, weint. Da kann auch Maria-Elisabeth Schaeffler nicht mehr: Sie fällt Peetz in den Arm. Tränen steigen in ihre Augen, sie kneift die Lippen zusammen. Sie muss stark sein. Sie winkt. Die stolze Unternehmerin, die jetzt um Staatsgeld betten muss. Ihr Sohn Georg, der mit ihr den Familienkonzern führt, nimmt sie in den Arm. Verzweifelter Jubel, verzweifeltes Winken, verzweifelte Tränen. Minutenlang.
Die Werkssirene ertönt, der Demonstrationszug setzt sich in Bewegung. Vors Rathaus wollen die 8000 ziehen, zu einer Kundgebung. In Herzogenaurach, dem Hauptsitz des Kugellagerkonzerns, gibt es 17000 Arbeitsplätze, davon 8000 bei dem Autozulieferer. Wenn der Staat nicht hilft, ist die Firma in sechs Monaten pleite, sagen Gewerkschafter.
„Wir sind eine große Familie“, sagt William Peetz, der Sicherheitsmann. Seine Tränen sind der Wut gewichen. „Wir, die wir die Banken und Politiker ernähren, werden allein gelassen“, schimpft er. Peetz kennt Maria-Elisabeth Schaeffler gut, er passt ja schließlich auf sie auf. Die Umarmung? „Diese Geste war in Vertretung für alle.“
"Denen hilft man - und uns lässt man draufgehen!"
Jens Birkicht hat seine ganze Familie mitgebracht. Tochter Jessica, Sohn Andreas, Ehefrau Monika. „Ich stehe komplett hinter Frau Schaeffler“, sagt der Maschinen-Einsteller. Letztens habe die Firmen-Inhaberin den Beschäftigten auf einer Betriebsversammlung Mut gemacht und ihnen gesagt, dass die teure Übernahme des Reifenbauers Continental doch Sinn macht. „Obwohl sie krank war.“ Für Birkicht zählt das, nicht der Conti-Aktienkurs und auch nicht der Pelzmantel-Auftritt. Er ist mittlerweile Kurzarbeiter, der Familien-Urlaub fällt aus. Birkicht ist sauer auf „die Banker“: „Denen hilft man – und uns lässt man draufgehen.“ Trotzig hält seine Tochter ein Schild hoch: „Danke Frau Schaeffler, dass mein Papa Arbeit hat!“ Die Schule von Andreas Birkicht wird von den Schaefflers gesponsert – wie vieles in Herzogenaurach. Das macht dankbar.
Der Protestzug muss etwa 500 Meter durch die Innenstadt zurücklegen. Es marschieren Azubis. Es protestieren Schulklassen, die in den Ferien Praktika bei Schaeffler machen. Damit die Menschen die große Straße vor dem Werk überqueren können, halten dicke Lkw den Verkehr auf, Lastwagen von Schaeffler-Zulieferern. Lautsprecher übertragen die Kundgebung in die ganze Innenstadt.
Die Schaefflers haben sich ganz hinten in den Zug eingereiht. Maria-Elisabeth versucht zu lächeln. Sie grüßt nach links und nach rechts. Was für ein Gefühl die Solidarität der ganzen Stadt ist? „Ein ergreifendes“, sagt sie zur AZ. „Das ist ein Ansporn, weiter für das Unternehmen und die Mitarbeiter zu kämpfen.“ Dann kommt einer ihrer Pressemitarbeiter und sagt: „Keine Fragen!“
Nur einer will den Konzern lieber pleite gehen lassen
Konzentriert lauscht die Unternehmer-Familie, was die Menschen auf dem Podium sagen. Bürgermeister German Hacker ruft: „Unsere Stadt geht auf die Straße für die Unternehmensfamilie.“ Die Schaefflers klatschen. „Wir brauchen Schaeffler!“, schreit der Landrat Eberhard Irlinger – Georg Schaeffler legt wieder den Arm um seine Mutter, die mit einem Taschentuch ihre Tränen zurückhält.
Auch Renate Schmidt von der SPD will sich wahlkampfmäßig ein wenig hervortun. Die Ex-Familienministerin beklagt, dass Frau Schaeffler als „raffgierige Milliardärin“ verunglimpft wird. Frau Schaeffler habe nie so viel Gewinn entnommen „wie ein paar durchgeknallte Manager von der Dresdner Bank“. Die Herzogenauracher jubeln. Frau Schaeffler klatscht.
Marcus Stephan ist an diesem Tag in der Minderheit. Der Chef einer kleinen Werbe-Firma beobachtet den Demonstrationszug und schüttelt den Kopf. „Natürlich tut es mir leid, was da passiert“, sagt er. „Aber wenn man den großen Unternehmen hilft, muss der Staat auch kleinen wie mir helfen. Und dann hätten wir keine Marktwirtschaft mehr.“ Er würde Schaeffler pleitegehen lassen. Marcus Stephan spricht mit leiser Stimme, achtet darauf, dass die Menschen um ihn herum nichts hören. Heute ist nicht sein Tag.
Volker ter Haseborg
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