Verrückte Rabattaktion: Zahl’ doch so viel du willst!

In der Krise probieren immer mehr Unternehmer eine ungewöhnliche Aktion aus: Die Kunden sollen den Preis für Waren und Dienstleistungen selbst festlegen. Die AZ erklärt, wann es funktioniert und wann nicht
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"Sie bestimmen den Preis", steht auf den Schaufenstern von Apollo in der Neuhauser Straße. Noch bis Oktober kann man bei dem Optiker um den Preis verhandeln. Foto: Loeper
az "Sie bestimmen den Preis", steht auf den Schaufenstern von Apollo in der Neuhauser Straße. Noch bis Oktober kann man bei dem Optiker um den Preis verhandeln. Foto: Loeper

In der Krise probieren immer mehr Unternehmer eine ungewöhnliche Aktion aus: Die Kunden sollen den Preis für Waren und Dienstleistungen selbst festlegen. Die AZ erklärt, wann es funktioniert und wann nicht

MÜNCHEN "Was macht das bitte?" "Geben Sie einfach, so viel Sie wollen!" – Kassengespräche dieser Art werden in Deutschland immer häufiger. Der neueste Marketing-Gag heißt: PWYW – "Pay what you want!" ("Zahl’ so viel du willst"). In der Krise suchen viele Unternehmen nach neuen Wegen, Umsatzflauten zu kompensieren. Auch die Optik-Kette Apollo: Dort kann man noch bis Oktober selbst entscheiden, wieviel man für ein Brillengestell ausgibt.

Kann so etwas funktionieren? Ist das nicht der direkte Weg in den Ruin? Nicht unbedingt, sagen die Wirtschaftswissenschaftler der Uni Frankfurt. Sie haben mehrere Pay-What-You-Want-Angebote untersucht und festgestellt: Die Bilanzen stimmten fast immer. "Die meisten Kunden zahlen einen angemessenen Preis für die ausgewählte Fassung", sagt auch Apollo-Geschäftsführer Ulrich Koch. "Es gibt wenige echte Schnäppchenjäger, die das Angebot voll ausnutzen, indem sie nur ein paar Cent zahlen." Offensichtlich sind die Gewissensbisse größer als der Anreiz, ein Schnäppchen zu machen. Und: Die Kunden überlegen sich sehr genau, wie viel sie woanders für diese Leistung bezahlen würden – und orientieren sich an diesen so genannten Referenzpreisen. Außerdem können durch solche Aktionen neue Kunden angelockt werden, sagen die Forscher.

"Die Mehrheit bezahlt instinktiv den richtigen Preis"

"Es gibt natürlich auch die Leute, die sie freundlich lächelnd ausnützen", sagt Hans Markwalder, Direktor des Hotels Sonnehof in Lam im Bayerischen Wald. In seinem Luxusressort galt im Juni ebenfalls einen Monat lang Pay-What-You-Want. "Die Mehrzahl hat instinktiv ungefähr das bezahlt, was wir sonst auch verlangen würden." Auch der Tiroler Ferienort Längenfeld hat gute Erfahrungen gemacht: Die Hotelgäste zahlten dort zwischen 70 und 100 Prozent der Normalpreise, in den Restaurant gaben zufriedene Kunden sogar mehr als sonst.

Die Berliner Gastronomen Jürgen Stumpf und Mariano Goni können von der Ehrlichkeit ihrer Gäste inzwischen sogar gut leben. Das Prinzip der "Weinerei" ist ganz einfach: Man zahlt einen Euro "Leihgebühr" für ein Glas, kann sich dann beliebig am Wein bedienen und wirft beim Verlassen des Lokals Geld in eine große Vase – eben so viel, wie einem der Abend wert war. Inzwischen gibt es in Berlin bereits vier Filialen der "Weinerei".

Im Internet ist die Zahlungsmoral deutlich schlechter

Entscheidend ist der direkte Kontakt zwischen Käufer und Verkäufer. Im anonymen Internet ist die Zahlungsmoral deutlich schlechter. Das musste die britische Band Radiohead feststellen: Sie stellte ihr neues Album ins Internet und stellte den Kunden frei, wie viel sie bezahlen wollten. Ergebnis: Nur 38 Prozent der Nutzer bezahlten überhaupt irgendetwas, der Rest gar nichts. Auch in einem anonymen Kino funktionierte das Experiment nicht.

Aber es gibt auch Skeptiker: "Im schlimmsten Fall setzen Unternehmen mit solchen Aktionen ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel", sagt Unternehmensberater Gerhard Kluge. "Kunden kaufen nur dann ein Produkt, wenn sie keinen Zweifel daran hegen. Mit Maßnahmen wie diesen schleicht sich der Zweifel jedoch unweigerlich ein. So sind viele skeptisch und vermuten irgendwo den ungeliebten Haken." Den gibt’s auch oft tatsächlich: Bei Apollo-Optik gilt das Angebot nämlich nur für Brillengestelle bis 99,90 Euro. Und: Die teuren Gläser muss man trotzdem regulär bezahlen.

"Der Deutsche hat gern einen festen, sicheren Rahmen"

Bernd Ohlmann vom Verband des Bayerischen Einzelhandels sieht noch ein ganz anderes Problem: "Die Kunden in Deutschland fühlen sich von solchen Angeboten oft überfordert und verunsichert. Sie wollen natürlich nicht zu viel bezahlen. Sie wollen aber auch nicht zu wenig geben und dann Angst haben, vom Kellner oder Verkäufer schräg angeschaut zu werden. Deshalb ist das Feilschen bei uns in Deutschland auch nicht so weit verbreitet. Der Deutsche hat gern einen festen, sicheren Rahmen. Das ist einfach eine Mentalitäts-Frage."

Und: Das Ganze geht nur bei relativ billigen Produkten. Bei einem Juwelier oder Autohändler wiegt die Freude über ein tolles Schnäppchen unter Umständen schwerer als das Gefühl, ein fairer Kunde zu sein.

Manchmal gehen solche Experimente komplett nach hinten los, wie beim Restaurant "Feuer&Flamme" in Nürnberg: Da wurde das Projekt schon nach wenigen Monaten wieder eingestellt. "Die Gäste haben’s nicht angenommen", erzählt Frank Farnschläder, der damals das Marketing des Restaurants betreut hat. "Vermutlich hatten sie Angst, dass es irgendeinen Haken gibt." Das Nachfolge-Lokal läuft jetzt übrigens gut. Mit festen Preisen.

Annette Zoch

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