Verdis Verwegenheit

"Ein wenig Augenmaß kann man schon verlangen": Georg Thanscheidt, stellvertretender Chefredakteur der AZ, über den Streit um den Streik.
von  Abendzeitung
Georg Thanscheidt.
Georg Thanscheidt. © Ronald Zimmermann

"Ein wenig Augenmaß kann man schon verlangen": Georg Thanscheidt, stellvertretender Chefredakteur der AZ, über den Streit um den Streik.

Krise, welche Krise? Bei den Gewerkschaften, die zurzeit die Tarifverhandlungen im öffentlichen Nahverkehr gegen die Wand fahren, ist die Nachricht von der schwersten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren ganz offensichtlich noch nicht angekommen. Ihnen sind mehr als 4,5 Prozent mehr Lohn ab April 2009 und 2,4 Prozent ab Juli 2010 nicht genug. Und auch die Erhöhung der Schichtzulagen um 30 Prozent reicht ihnen nicht. Sie wollen den sprichwörtlichen „Schluck aus der Pulle“. Die Krise bekommen dafür andere: Die Kunden der MVG, die ab nächsten Donnerstag im Regen stehen gelassen werden.

Natürlich ist ein Streik ein legitimes Mittel, seine Interessen durchzusetzen. Aber ein wenig Augenmaß kann man von Verdi schon verlangen: Im Jahr 2008 betrug die durchschnittliche Tariferhöhung bundesweit 2,9 Prozent. Ein mehr als 1,6 Prozentpunkte höheres Angebot für 2009 abzulehnen, kann man schon als verwegen bezeichnen. Zumal Verdi nicht unschuldig an den miesen Verdiensten ihrer Mitglieder ist: 2007 – auf dem, wie wir jetzt wissen, Höhepunkt des Booms – hatte die Gewerkschaft einem neuen Tarif zugestimmt, der die Einkünfte neuer Fahrer um mindestens 200 Euro netto schmälert. Jetzt haben sie einen Abschluss erreicht, der einem MVG-Angestellten im Schnitt ein Plus von gut 100 Euro brutto beschert. Kein Wunder, dass die Arbeitnehmervertreter da in Rechtfertigungsnöte geraten.

Die Fehler der Vergangenheit nun zur Unzeit auch noch auf dem Rücken der Fahrgäste auszubügeln – das kann nicht Verdis Ernst sein.

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