Urteil im Siemens-Schwarzgeldskandal: Bewährung
München (dpa) - Im ersten Strafprozess um den milliardenschweren Siemens-Schmiergeldskandal hat das Münchner Landgericht den Angeklagten zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Außerdem muss er eine Geldstrafe von 108 000 Euro zahlen.
Der frühere Manager der Siemens-Festnetzsparte ICN, Reinhard S., habe in 49 Fällen fast 50 Millionen Euro an Konzerngeldern veruntreut, befand der Vorsitzende Richter Peter Noll am Montag in der Urteilsbegründung. Das Geld habe der Angeklagte über Scheinberaterverträge und ein Geflecht von Tarnfirmen in schwarze Kassen geschleust. Zugleich erhob Noll schwere Vorwürfe gegen frühere Vorgesetzte des Angeklagten, die ihn mit der Einrichtung schwarzer Kassen beauftragt hätten. Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International (TI) Deutschland lobte den Richterspruch als «ausgewogen».
Im größten Schmiergeld-Skandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte geht es insgesamt um 1,3 Milliarden Euro an dubiosen Zahlungen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehr als 300 Beschuldigte. Zwei weitere Anklagen sollen nach Angaben der Behörde voraussichtlich noch in diesem Jahr erhoben werden.
Reinhard S. hatte bereits zu Prozessbeginn ein umfangreiches Geständnis abgelegt und die Einrichtung schwarzer Kassen in der Telekommunikationssparte zur Erlangung von Aufträgen im Ausland eingeräumt. Mit seiner Hilfe kamen viele Details der Affäre ans Licht. «Die Anklage, wie sie verlesen wurde, hat sich vollumfänglich bestätigt», sagte Noll. Zugunsten des Angeklagten wertete das Gericht auch, dass er im Auftrag seiner Vorgesetzten gehandelt habe. Zudem habe er bei der Aufklärung der Schmiergeld-Affäre voll kooperiert. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre auf Bewährung und eine Geldstrafe von 180 000 Euro für den Angeklagten gefordert. Die Entscheidung ist bereits rechtskräftig, da sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung sie akzeptierten.
Das Urteil beruhe neben dem Geständnis auch auf den umfangreichen Unterlagen, die der Angeklagte den Ermittlern übergeben habe, sowie detaillierten Untersuchungen des bayerischen Landeskriminalamtes, erklärte Noll. Bei den Taten handele es sich um Untreue, weil sowohl der Angeklagte selbst als auch Siemens keinerlei Zugriff und Kontrolle mehr über die Gelder gehabt hätten, die in die schwarzen Kassen geflossen seien. Scharf kritisierte der Vorsitzende Richter das frühere Siemens-Management. «Alle Kontrollinstanzen und praktisch die gesamte Organisation haben darauf abgezielt, so ein Verhalten zu ermöglichen.»
«Wir können als Ergebnis des Prozesses nicht sagen, wo das Geld letztlich geblieben ist», sagte Noll. «Die Beträge wurden in ein Geflecht von Scheinfirmen eingeschleust.» Da der Angeklagte aber im Auftrag seiner Vorgesetzten handelte, relativiere sich seine persönliche Schuld. «Der Angeklagte ist zumindest von seinem Bereichsvorstand angewiesen worden, schwarze Kassen zu führen», sagte Noll. Dennoch widerspreche dies dem Gebaren eines vorsichtigen und ordentlichen Kaufmannes.
So habe sich der Angeklagte auf Unterschriften verlassen, die auf Klebezetteln geleistet wurden, auf kopierte Reisepässe und auf das Ehrenwort dubioser Mittelsmänner. «Jemand, der sein Geld nur damit verdient, Schwarzgeld zu verstecken, kann man nicht als Ehrenmann bezeichnen», sagte der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung weiter. Der frühere Siemens-Manager sei sich über sein Verhalten im Klaren gewesen und über den Verwendungszweck des Geldes. «Dass der Angeklagte wusste, dass er strafbare Handlungen beging, unterliegt keinem Zweifel. Wir haben es hier ja nicht mit einem kleinen Buchhalter, sondern mit einem Direktor der Siemens AG zu tun», sagte Noll.
Der stellvertretende Vorsitzende von TI Deutschland, Peter von Blomberg, bezeichnete das Urteil im MDR als «vernünftig und ausgewogen». Staatsanwaltschaft und Gericht hätten dem Angeklagten zugutegehalten, dass er in ganz erheblichem Ausmaß zur Aufklärung der Siemens-Affäre beigetragen habe. «Vor diesem Hintergrund können wir gut nachvollziehen, dass das strafmildernd gewirkt hat.» Der Richterspruch könne auch eine abschreckende Wirkung auf Unternehmen haben, die Korruption betreiben. «Sie können aus diesem Urteil ablesen, dass die Gefahr der Aufdeckung desto größer wird, je eher Beteiligte bereit sind, auszupacken. Und wenn die Beteiligten durch die Perspektive einer weniger strengen Bestrafung sich der Dinge entledigen, dann werden sie eher bereit sein, auszusagen», sagte Blomberg.
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