"Tut der der Daks sich weh, wenn er fällt?"

Arrogant bis freundlich: Wie Unternehmen reagieren, wenn ihnen Kinder Briefe schreiben
von  AZ Aktuellredaktion

BERLIN Ausflug in die eigene Kindheit: Wie ist es eigentlich, wenn Minderjährige an Firmen und Behörden schreiben – und Aufklärung für Sachverhalte fordern, die Erwachsene einfach hinnehmen?

Zwei Autoren haben jetzt die Probe aufs Exempel gemacht. Sie vergaßen Grammatik und Rechtschreibung, gaben sich selbst Kindernamen und setzten Briefe auf, beispielsweise an die deutsche Börse: „Guten tag. Mein grosser Bruder ist grösser und schreibt für mich. Ich bin Ben und habe ein frage. Papa sagt oft der daks ist gefallen und dann habe ich gefragt und gefragt ob der daks sich wehtut wenn er fällt.“

Die frühere SPD-Pressesprecherin Marion Uhrig-Lammersen und der Publizist Hans-Jürgen Arlt schrieben die Briefe, und druckten sie jetzt samt den Antworten im Faksimile ab – wenn es denn eine Antwort gab. Die Deutsche Bank beispielsweise reagierte auf die Frage nach dem Schicksal des Deutschen Aktienindex Dax gar nicht. Bei der Deutschen Börse dagegen gab man sich Mühe – das spricht in den Augen der Autoren für das Unternehmen, auch wenn die Antwort zwar freundlich, aber wenig erhellend ausfiel: „Lieber Ben, schön, dass Du Dir Sorgen um den Dax machst. Allerdings ist dieser Dax kein Tierchen, sondern ein Symbol für den Zustand der Wirtschaft in Deutschland. Ein anderes Symbol ist der Bulle. Der steht für Kraft und Aufstieg der Wirtschaft.“ Anbei erhielt der (fiktive) Fragesteller einen kleinen Plastik-Bullen per Post.

Verständnislos dagegen die Antwort des damaligen FDP-Wirtschaftsministers Rainer Brüderle. „Guten Tag. Meine Eltern sind auf Harz“, hatten ihm die Autoren geschrieben. Zusammen mit seinem Freund suche er eine Ausbildung, berichtete der erfundene Briefeschreiber. „Haben Sie eine Idee? Die Ausbildung darf nichts kosten, weil wir haben kein Geld.“ Die Reaktion auf das Schreiben wurde erkennbar aus Textbausteinen des Ministeriumsrechners zusammengefügt. „Es ist angesichts der demografischen Entwicklung unbestritten, dass wir alle Potentiale am Arbeits- und Ausbildungsmarkt nutzen müssen, um die wieder anziehende Konjunktur zu stützen“, wurde „Markus“ belehrt. „Die Vermittlung von Fachkräften gehört nicht zu den Aufgaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.“ Der Fragesteller möge sich doch bitte ans Arbeitsamt wenden.

Punkten konnte dagegen der frühere Finanzminister und heutige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. „Ich möchte gerne mal mit Dir Schach spielen“, bat ihn der kleine „Ben“. „Meine Schwester darf mitkomen aber nur zukuken“, fügte er hinzu. Steinbrück ließ sich nicht lumpen und bot „Ben“ an, sich bei seiner Sekretärin zu melden, um nach einem Termin für ein Schachspiel zu suchen. Und empfiehlt dem Jungen, der seine Schwester Lili beim Schach nur zugucken lassen will, gnädiger zu sein. „Inzwischen sind die Mädchen oft cleverer als die Jungen.“ 101 Briefe wurden verschickt, 64 Antworten kamen zurück. Manche knapp oder nichtssagend, andere leuchtende Beispiele für gelungene Kommunikation. Fazit von Marion Uhrig-Lammersen: „Es geht darum, ob man Kunden und Kinder ernst nimmt.“

Hans-Jürgen Arlt, Marion Uhrig-Lammersen: „Tut der Dax sich weh, wenn er fällt? Wie Wirtschaft und Politik mit Kinderbriefen umgehen.“ Beuth Verlag, 19,80 Euro.

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