Tibet leidet, der Dollar rollt

Blutende Mönche, wütende Proteste lavierende Politiker und Sportfunktionäre. Dennoch schweigen die öffentlichen Entscheidungsträger in Sachen Tibet - sie fürchten um die Milliarden- Umsätze der Firmen.
von  Abendzeitung
Audi-Produktion im Werk Changchun: Volkswagen ist der Marktführer in China – vor allem dank der schwarzen Audi-Staatskarossen.
Audi-Produktion im Werk Changchun: Volkswagen ist der Marktführer in China – vor allem dank der schwarzen Audi-Staatskarossen.

MÜNCHEN - Blutende Mönche, wütende Proteste lavierende Politiker und Sportfunktionäre. Dennoch schweigen die öffentlichen Entscheidungsträger in Sachen Tibet - sie fürchten um die Milliarden- Umsätze der Firmen.

Blutende Mönche, wütende Proteste lavierende Politiker und Sportfunktionäre. Die China-Delegierte der Deutschen Wirtschaft, Jutta Ludwig, riet am Freitag zu „politischen Gesprächen“, mehr nicht. Das Schweigen der öffentlichen Entscheidungsträger in Sachen Tibet gibt Rätsel auf. Aber es gibt eine Zahl, die alle Fragen beantwortet: 78 Milliarden Dollar – auf diese Summe beläuft sich das Handelsvolumen der Bundesrepublik mit China.

Deutsche Konzerne setzen auf den wachsenden chinesischen Markt. Beispielsweise der Münchner Triebwerks- komponenten-Hersteller MTU: Konzernchef Egon Behle müsste angesichts des desaströsen Dollarkurses zurzeit eigentlich in Fertigungsanlagen in den Vereinigten Staaten investieren. Aber Behle hat ganz andere Visionen: Wenn schon über weitere Investitionen außerhalb des Euroraumes gesprochen werde, dann wohl eher in Asien. Dort hat MTU bereits ein Gemeinschaftsunternhmen mit China Southern Airlines, dort, so Behle, spiele in Zukunft die Musik.

Viel weiter als MTU ist der Münchner Chemiekonzern Wacker. Das Unternehmen hat schon 1992 in Taipeh ein Verkaufsbüro eröffnet, 2o03 wurde die Unternehmenstochter Wacker Greater China nach Schanghai verlegt. Heute hat Wacker Werke in Schanghai, Wuxi und Zhangjiagang und ein Technikzentrum in Schanghai.

Auch kleinere Unternehmen setzen auf China

Auch für Siemens steht viel auf dem Spiel: 22 Milliarden Dollar werden für den Ausbau der Transrapid-Strecke zwischen Peking und Schangai veranschlagt. Und Siemens macht sich – immer noch – Hoffnungen auf ein großes Stück von diesem Kuchen. Aber auch kleinere Unternehmen setzen auf China, Ritter Sport etwa. Der wachsende Hunger der Chinesen auf westliche Markenschokolade versetzt die Waldenbucher in die bequeme Lage, allzu aggressive Preis-Forderungen des Handels in Deutschland einfach einmal aussitzen zu können. Wenn Millionen Chinesen quadratische Tafeln kauen, ist der Wankelmut des verwöhnten West-Kunden nicht mehr gar so bedrohlich.

Überhaupt die Markenartikler: Die italienische Designer-Kette Max Mara will die Zahl seiner Filialen in China heuer auf 149 hochfahren. Adidas-Vorstandschef Herbert Hainer ist guter Dinge, 2010 in China über eine Milliarde Euro Umsatz zu machen. Und er freut sich heute schon über die asiatischen Billiglöhne. Rund 100 Millionen Paar Adidas Schuhe kamen im vergangenen Jahr aus chinesischen Fabriken. Ein Boykott der Olympischen Spiele wegen Tibet fände Hainer übrigens „kontraproduktiv“. „Man sollte von Sponsoren nicht erwarten, dass sie politische Probleme lösen können“, sagt er.

Auch Volkswagen täte sich schwer mit einem Boykott. Das Unternehmen fertigt in China und ist mit einem Anteil von 18 Prozent und fast einer Million verkaufter Fahrzeuge Marktführer unter den 80 in- und ausländischen Herstellern. Mehr Autos verkauft der Autokonzern in keinem anderen Land der Welt. Sehr beliebt in China sind schwarze Staatskarossen der VW-Tochter Audi. Allein für den Fackellauf stellt VW rund 1000 Pkw bereit. Für die Beförderung von Funktionären und Staatsgästen kommen noch mal 5000 Autos dazu.

Beispiel Coca Cola

Besonders augenfällig wird das profitable Schweigen über Tibet am Beispiel Coca Cola. Der US-Konzern will in Peking bis Ende des Jahres für 80 Millionen Dollar ein so genanntes „Forschungszentrum“ errichtet haben. Schon heute ist China der viertgrößte Markt für Coca Cola. Was liegt für den Getränkehersteller näher, als die Spiele finanziell zu unterstützen? Und was liegt für IOC-Präsident Rogge näher, als sich gegenüber dem generösen Geber erkenntlich zu zeigen? „Ich danke Coca Cola“, frohlockte Rogge bei der Entzündung des Olympischen Feuers, und natürlich verlor er kein Wort über Tibet.

Politiker, die China besuchen, finden sich ohnehin meist in der Rolle von Handelsvertretern wieder. Mit harschen Worten kritisierte die Industrie etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel, als diese im vergangenen Herbst den Dalai Lama empfangen hatte. Deutsche Industrie-Manager vor Ort fühlten sich wochenlang eiskalter Missgunst ihrer Geschäftspartner ausgesetzt. Viel besser, fanden sie, hatte es Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy gemacht: Er brachte von seiner ersten Reise nach China Aufträge über Atomkraftwerke und Flugzeuge im Wert von 18 Milliarden Euro nach Hause.

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