Tests im Internet - was taugen sie?

Wer Produktbewertungen im Netz sucht, findet eine Vielfalt von Infos. Oft melden sich Verbraucher mit wertvollen Erfahrungsberichten zu Wort, viele Einträge sind aber unseriös
von  Susanne Stephan

 

MÜNCHEN Nach drei Jahren treuen Putzens versagt die elektrische Zahnbürste ihren Dienst. Eine neue soll her, aber welches Modell? Zum Glück gibt’s das Internet und viele echte und selbsternannte Experten, die sich online über Zahnbürsten auslassen.

Kaufen macht (meistens) Spaß, der Austausch über die Stärken und Schwächen von Produkten genauso. Davon profitieren eine ganze Menge Seiten im Internet, die neue Geräte testen oder testen lassen. Wer ein bisschen herumklickt, bekommt wertvolle Entscheidungshilfe. Er muss allerdings verstehen, wie Online-Wertungen entstehen.

Sternchen statt Noten. „Für Produkte unter 50 Euro mit geringem Erklärungsbedarf ist Amazon eine gute Anlaufstelle“, sagt Simon Harlinghausen, Geschäftsführer der Online-Marketingagentur Akom360 und Mitglied im Expertenrat der Stiftung Warentest. Also erst einmal auf die Seite des Online-Einzelhändlers geklickt. Mit über 100 Euro liegt beispielsweise die Braun Oral-B Trizone 5000 zwar deutlich über der von Harlinghausen genannten Preisschwelle, jedoch haben 265 Amazon-Kunden ihre Meinung zu der Zahnbürste kundgetan. Im Schnitt gaben die Nutzer der Bürste stolze viereinhalb Sterne.

Merkwürdig allerdings: Viele Rezensionen im Wortlaut klingen im Gegensatz zu den Sternen kritisch: Dass der Preis absurd überhöht sei, die Bürste selbst klobig und zu schwer, der mitgelieferte Mini-Computer nicht mehr als eine Spielerei. Die Gesamtnote für die Bürste wirkt deshalb willkürlich. Weitergeklickt zur Stiftung Warentest, die sich nicht auf die Meinung von 08/15-Verbrauchern verlässt, sondern Produkte selbst testet. Dort bekommt das Hightech-Zahnbürstl gerade mal Note 3,1 beziehungsweise 58 von 100 Punkten. Wem soll der Kunde jetzt glauben?

Ernstzunehmende Bewertungen neben unseriösen Einträgen. Vielleicht besser der Stiftung Warentest als den Amazon-Sternen. Nutzerkommentare bei Amazon entstehen oft im Auftrag von Herstellern, die über Empfehlungs-Agenturen ganze Heerscharen von Kommentatoren im Netz beschäftigten. Agenturen verkaufen an Unternehmen Facebook-„Likes“, also positive Reaktionen auf Einträge in dem sozialen Netzwerk, und sie handeln mit kompletten Fälschungen. Beispielsweise kommen rund fünf Prozent der Facebook-„Fans“ von Pit Stop aus Indien. Dabei ist die Werkstattkette dort gar nicht aktiv.

Problematisch ist auch die Honorar-Praxis mancher Testseiten: Nutzer, die Erfahrungsberichte schreiben, die wiederum andere Nutzer als „hilfreich“ markieren, bekommen bei einigen Test-Seiten Einkaufsgutscheine oder andere Wohltaten. Als „hilfreich“ werden aber meist positive Berichte markiert, so dass die Versuchung groß ist, ein schlechtes Produkt ein bisschen schönzureden. Viele Internet-Autoren schließlich bekommen „Test“-Produkte von Herstellern, die sie aber nicht unbedingt zurücksenden müssen. Die Berichte über einen „Test“-Rechner auf dem Portal Ciao.de lesen sich dann beispielsweise so: „Das leistungsstarke Weltwunder für zu Hause – Jaaaa, ich kann mich noch genau daran erinnern, als mich vor Ostern die Mail erreichte, dass ich vielleicht zu den Testern des neuen Dell Ultrabook XPS 13 gehöre. Ihr könnt euch vorstellen, wie hibbelig ich die Feiertage war, bis der erlösende Anruf kam, dass ich tatsächlich dabei bin. *Kreisch* das war mein erster Gedanke. Genau zur richtigen Zeit, denn mein aktueller Laptop war zwar erst drei Jahre alt, aber die ersten Altersanzeichen machten sich bemerkbar.

Erfahrungsberichte von Kunden seien „immer mit ein wenig Vorsicht zu genießen“, sagte Julian Wirtler vom EHI Retail Institute in Köln. „Wir empfehlen, zusätzlich mehrere Seiten zu sichten, um das Risiko, von unseriösen Bewertungen getäuscht zu werden, auszuschließen und sich ein verlässliches Bild vom Produkt machen zu können.“ Bei einer zweistelligen Zahl von Kommentaren lässt sich eine repräsentative Einschätzung des Produktes ableiten. „Ich würde wenn möglich die Wertungen stichprobenartig lesen, nicht nur auf die Note achten“, ergänzt Wirtler. „Möglicherweise interessieren mich an einem Produkt ja ganz andere Details als den Tester oder Kunden.“

Der Experte wirbt für den „Dialog mit dem Kunden“. Online-Marketing-Experte Simon Harlinghausen bricht trotz versteckter Werbebotschaften eine Lanze für Nutzerforen im Netz: Auf vielen Internet-Seiten meldeten sich Kommentatoren zu Wort, die fachkundig seien und der Welt viel mitzuteilen hätten, urteilt er – aufwendig erstellte Rezensionen, von denen andere Konsumenten nur profitieren könnten. Harlinghausen empfiehlt als seriöse Anlaufstelle im Netz www.testeo.de, eine Seite, die Testberichte aus dem ganzen Internet zusammensucht und sie zu einer Produktnote zusammenzufasst. Er glaubt, dass sich die Internet-Beurteilung von Waren noch mehr durchsetzen wird – und dass sich damit eine neue Macht formiere: „Die Anbieter haben noch viel zu viel Angst vor ehrlichem Feedback durch den Konsumenten“ , sagt er. Doch „die Marken müssen lernen, sich dem Dialog mit den Kunden zu stellen“. sun

 

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