Sündenfall im Job-Paradies

Nun ist sie dahin, die heile BMW-Welt, mit Jobgarantie, respektvollem Umgang zwischen Führung und Belegschaft sowie nach oben offener Gehaltsskala für viele Mitarbeiter. Jetzt will auch der Münchner Autobauer mit Entlassungen den Gewinn noch weiter steigern.
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Arbeiter an der Schwenkmontage im BMW-Werk München
az Arbeiter an der Schwenkmontage im BMW-Werk München

MÜNCHEN - Nun ist sie dahin, die heile BMW-Welt, mit Jobgarantie, respektvollem Umgang zwischen Führung und Belegschaft sowie nach oben offener Gehaltsskala für viele Mitarbeiter. Jetzt will auch der Münchner Autobauer mit Entlassungen den Gewinn noch weiter steigern.

VON HEINER SIEGER

Im Gute-Laune-Unternehmen, das sich „Freude am Fahren“ auf die Fahnen geschrieben hat, ist die Stimmung am Tiefpunkt: Personalvorstand Ernst Baumann kündigte am Mittwoch vor einem kleinen Kreis Münchner Journalisten an, dass BMW weltweit 8100 Stellen streichen will. 5000 davon sind Zeitarbeitstellen, der Rest entfällt auf das Stammpersonal. Schwerpunkt des Personalabbaus werden die bayerischen Standorte sein. Dort sollen 2500 Mitarbeiter gehen.

Die Entscheidung ist der Sündenfall im Job-Paradies. Seit den deutschen Rezessionsjahren 1992/93 gab es bei BMW keine Entlassungen mehr. Und bisher hatte BMW-Chef Norbert Reithofer stets betont, sein Effizienzsteigerungsprogramm würde ohne Stellenabbau auskommen. Bis 2012 will er sechs Milliarden Euro einsparen. „Ich werde jeden Einzelnen zur Verantwortung ziehen, der sich nicht daran hält“, hatte der Ingenieur im Herbst seine 50 Spitzenmanager ins Gebet genommen. Vier Milliarden will er bei den Materialkosten einsparen, den Rest vor allem „durch Reduzierung des Personalaufwands“.

"Ehrlich gesagt richtig Scheiße"

Auf den Fluren des Vierzylinders und in den Werken hatten die Mitarbeiter seitdem gerätselt, wie es Reithofer schaffen will, mit der gleichen Zahl Mitarbeiter seine geplante Absatzsteigerung um 20 Prozent auf 1,8 Millionen Fahrzeuge zu erreichen. „Einen Personalabbau gibt es nicht. Wir wollen das Ziel mit bestehender Mannschaft erreichen“, hatte noch im November ein BMW-Sprecher der AZ gesagt.

Jetzt der Streichungs-Schock. „Das ist ganz ehrlich gesagt richtig Scheiße“, schimpft ein Montagearbeiter, der gerade von seiner Schicht aus dem Münchner BMW-Werk in der Dostlerstraße kommt. „Die da oben stecken sich immer mehr in die Tasche, während wir in der Produktion immer härter arbeiten müssen.“ Wut, Unsicherheit, Unverständnis herrscht bei den Mitarbeitern des einstigen Vorzeigekonzerns. Die Stimmung vor dem Werkstor ist gereizt.

Immer mehr Maschinen, immer weniger Menschen

Stellenstreichungen – das war für die BMWler lange ein Fremdwort. „Ich kann das nicht verstehen“, sagt Polat Ercan, der als Logistiker in dem Werk arbeitet. „Der Konzern macht Gewinn. Warum muss man dann Leute entlassen?“ Amargan Bakir hat eine Antwort: „Das ist die Technik: Immer mehr Maschinen, immer weniger Menschen.“ Und er weiß: Wahrscheinlich trifft ihn die Rationalisierung selbst. Bakir ist Leiharbeiter bei BMW. „Natürlich“, meint er, „habe ich jetzt Angst um meinen Job“.

Seine Kollegin Memnona Bilalovic dagegen ist zuversichtlich. „Ich glaube nicht, dass meine Stelle in Gefahr ist“, sagt die 54-Jährige. „In drei Jahren gehe ich in Frührente. Da wird man mich jetzt nicht rauswerfen.“ Sicher jedoch kann sich die Montage-Arbeiterin da nicht sein...

Die Personalmaßnahmen seien „eine Grundvoraussetzung, um in Deutschland auch in Zukunft den größten Teil unserer Mitarbeiter beschäftigen zu können“, sagte Personal-Chef Baumann am Mittwoch. Dreiviertel der 108.000 BMW-Mitarbeiter arbeiten am Heimatstandort.

Ein Luxusproblem für die Führungskräfte

Vorsorglich rechnet Reithofer mit außerordentlichen Aufwendungen in dreistelliger Millionenhöhe für Abfindungen. Möglicherweise reicht das nicht mal: „Der heutige Dollarkurs von 1,50 hat mich schon geschüttelt“, so Baumann. Wenn er längere Zeit auf diesem Niveau bleibe, werde es kritisch. „Dann haben nicht nur wir ein Problem.“

Ein kleines Luxusproblem haben schon jetzt die Führungskräfte bei BMW. Auf der gesamten Managementebene vom Meister bis zum Vorstand verzichten rund 6000 Mitarbeiter auf die Erhöhung der Tantieme. Das ist der freiwillige Bonus, den der Konzern, dem es ja angesichts eines Gewinns von rund vier Milliarden Euro sehr gut geht, als Erfolgsbeteiligung zahlt.

„Alle Maßnahmen, die wir ergreifen, sind auf Zukunftssicherung und Wertsteigerung ausgerichtet“, so Baumann. „Unser Ziel ist es, auch bei der Rendite dem Anspruch Premium gerecht zu werden. Das sind wir derzeit nicht.“ Das klingt nach starkem Druck von Großaktionär Quandt und den Kapitalmärkten. „Die Kapitalrentabilität bei BMW liegt inzwischen weit hinter den Konkurrenten Daimler und Audi“, so Georg Stürzer, Autoanalyst bei Unicredit.

Auch Siemens und Henkel bauen Jobs ab

BMW ist nicht der einzige Dax-Konzern, der trotz Milliardengewinns Tausende von Mitarbeitern an die Luft setzen will. Siemens-Chef Peter Löscher hatte am Dienstag angekündigt, in seiner Festnetzsparte rund ein Drittel der 17000 Mitarbeiter zu entlassen. Der Bereich schreibt zwar Verluste, aber Siemens machte 2007 einen Konzerngewinn von mehr als vier Milliarden Euro.

Einen Rekordgewinn schaffte zuletzt auch der Düsseldorfer Waschmittel- und Klebestoffkonzern (Bac, Dixan, Persil, Schwarzkopf, Pritt). Trotz Jahresüberschuss von fast einer Milliarde Euro, kündigte Konzern-Chef Ulrich Lehner weltweite Streichungen von 300 Stellen an. „Wir sichern damit aus einer Position der Stärke die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens“, so Lehner.

„Die Behauptung der Unternehmen, sie müssten sich für die Zukunft aufstellen ist unfair“, kritisiert dagegen Ulf Posé, Präsident des deutschen Ethikverbandes. „Es ist nicht sozialverträglich, Menschen ihre Arbeitsplätze abzunehmen, nur damit die Gewinne wachsen. Man reduziert den Menschen damit auf sein funktionieren. Menschen haben aber mehr in einer Firma: Heimat, Anerkennung, soziale Kontakte und Wertschätzung.“

"BMW begeht Kulturbruch"

Bei BMW hat die drastische Personalentscheidung auch das bislang harmonische Verhältnis von Unternehmen und Gewerkschaft zerstört. „BMW begeht Kulturbruch“, so der BMW-beauftragte der IG Metall, Horst Lischka, im AZ-Interview. „Herr Baumann glaubt offenbar, den Scharfmacher spielen zu müssen und durch eine permanente Verunsicherung der Belegschaft den Börsenkurs in die Höhe treiben zu können“, schlug Werner Neugebauer, Bezirksleiter der IG Metall Bayern und BMW-Aufsichtsrat harsche Töne an. „Wir waren bisher bei BMW eine andere Kultur im Umgang mit den Beschäftigten gewöhnt. Wenn BMW diese Kultur ändern will, wird sich auch die IG Metall anders aufstellen.“

Der Vorsitzende des BMW-Gesamtbetriebsrates, Manfred Schoch, forderte die Beschäftigten auf, sich genau zu überlegen, den Verlockungen des Personalbereichs zu folgen und den Konzern gegen Abfindung freiwillig zu verlassen. „Wichtigstes Element unserer Vereinbarung bei BMW ist die Beschäftigungssicherung. Es wurde juristisch eindeutig vereinbart, das betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind. Kein Mitarbeiter kann gegen seinen Willen gezwungen werden, einen Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen."

BMW stehen unruhige Zeiten bevor.

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