Steuersenkungen und Soli: "Der Bürger wird hingehalten"

Die Gebote reichen von 15 bis zu 40 Milliarden Euro: Nachdem Bund, Länder und Kommunen voraussichtlich mit weit mehr Steuereinnahmen rechnen können als geplant, versprechen CDU, CSU und FDP Steuersenkungen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will außerdem den Solidaritätszuschlag ab 2020 abbauen. Doch wie realistisch sind diese versprochenen Senkungen? Welche Summen können wirklich an den Bürger zurückfließen – und meint Schäuble es mit der Soli-Abschaffung diesmal wirklich ernst?
Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München gibt im AZ-Interview eine Einschätzung.

AZ: Herr Professor Fuest, die Prognosen sagen einen Steuerüberschuss von 54,1 Milliarden Euro bis zum Jahr 2021 voraus. Was könnte diese Prognose noch kippen?
CLEMENS FUEST: Es könnte besser beim Wirtschaftswachstum laufen, als es der Prognose zugrunde liegt, aber auch schlechter. Es kann passieren, dass plötzlich Ausgabenbedarf entsteht, mit dem man heute nicht rechnet. Es kann auch passieren, dass weniger Ausgaben notwendig sind. Das Ganze hängt zum Beispiel ab von der Zinsentwicklung und von der Beschäftigungsentwicklung. Aber man versucht natürlich schon, das Ganze halbwegs realistisch einzuschätzen.
Ist es trotzdem voreilig, dass einzelne Parteien bereits konkrete Steuersenkungen versprechen, obwohl die Zahl noch nicht sicher ist?
Natürlich ist man nie sicher, dass Versprechen umgesetzt werden. Aber ich finde es wichtig und richtig, dass Politiker vor Wahlen klar sagen sagt, ob sie Steuern senken oder erhöhen werden, denn wie sollen Wähler sonst entscheiden? Am Ende ist es natürlich so, dass Staatsausgaben und Staatseinnahmen zusammenpassen müssen: Wer weniger Steuern erhebt, wird also auch weniger ausgeben können.
Die Abschaffung des „Soli“ will Schäuble ab 2020 realisieren – allerdings wurde das seit der Wiedereinführung 1995 immer wieder versprochen. Wird der Bürger mit diesem Thema getäuscht?
Heute Steuersenkungen ab 2020 zu versprechen hört sich vielleicht attraktiv an, aber solche Versprechen sind nicht besonders relevant. Denn 2017 wird eine neue Bundesregierung gewählt, 2021 dann wieder eine andere. Wer bis dahin regiert, ist unklar. In der Tat werden die Bürger hingehalten und wir wissen nicht, wie im Jahr 2021 die Welt aussieht. Wir sollten uns auf die nächste Legislaturperiode konzentrieren.
Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann (CDU), fordert Steuersenkungen von 30 bis 40 Milliarden Euro. Wie realistisch ist das?
Das ist realistisch, wenn die Ausgabenentwicklung dazu passt. Wenn man die Steuerquote konstant halten will, sehe ich Spielräume eher in Höhe von 20 bis 25 Milliarden. Wenn man darüber hinaus geht, dann wird man erklären müssen, welche Ausgaben man senkt. Es gibt Möglichkeiten, Ausgaben zurückzufahren: In der letzten Legislaturperiode sind Dinge getan worden wie die Einführung der Rente mit 63. Das hat viel Geld gekostet. Man muss sich schon fragen: Ist das notwendig? Steuersenkungen führen dazu, dass Druck entsteht, mal darüber nachzudenken, ob alle Ausgaben wirklich notwendig sind.
Sie halten Steuersenkungen also für sinnvoller als Investitionen, wie sie etwa die SPD fordert?
Den Konflikt zwischen Investitionen und Steuereinnahmen gibt es nicht. Das Beispiel Rente mit 63 zeigt , dass das Argument, der Staat würde das Geld für Investitionen brauchen, nicht überzeugend ist. Weil er es eben nicht für Investitionen ausgibt. Sondern er gibt es aus um, teilweise jedenfalls, Geschenke zu verteilen. Es ist genug Geld für Investitionen da.
Woran scheitern sie dann?
Investitionen scheitern daran, dass Planungsverfahren sehr lange dauern, sie scheitern an Unfähigkeit, wie beim Flughafen Berlin, sie scheitern am Widerstand der Bevölkerung gegen Stromtrassen, gegen Stuttgart 21. Aber sie scheitern nicht am Geld. Das heißt die These, wir könnten nicht genug investieren, wenn wir Steuern senken, ist falsch.
Wolfgang Schäuble hält Senkungen von 15 Milliarden. für realistisch. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt ebenfalls, mehr ist nicht drin.
Selbstverständlich ist mehr drin, man muss eben die Ausgaben entsprechend begrenzen. Ich finde es aber gut, dass die Politik klar sagt, was sie für Pläne hat. Und wenn das Angebot von Frau Merkel ist, 15 Mrd. Steuersenkung und vielleicht dafür eine leichte Erhöhung der Ausgaben, ist das in Ordnung. Man muss aber auch sagen: Wir reden hier nicht wirklich über Steuerentlastungen, sondern über das Beenden heimlicher Steuererhöhungen durch die kalte Progression.