Sparen bei den Armen
"Diese Studie ist ein Witz - noch dazu ein schlechter": Georg Thanscheidt, der stellvertretende AZ-Chefredakteur über das falsche Spiel mit den Zahlen zum Hartz-IV-Satz.
Hartz-IV-Bezieher an den Pranger zu stellen ist einfach – deswegen ist es gerade wohl so in Mode: Der Finanzsenator von Berlin, Thilo Sarrazin, empfahl den Unterstützungs-Empfängern bei steigenden Heizkosten warme Pullover. Im Fernsehen machen sich Sozialfahnder auf der Suche nach realen oder vermeintlichen Sozial-Schmarotzern. Dahinter stehen beim Polit- oder TV-Publikum meist zwei Befürchtungen:
Dass die angeblich Armen ihr Geld zu Unrecht bekommen. Und dass man selbst der Nächste sein könnte, der bei Job-Verlust mit derzeit 351 Euro im Monat über die Runden kommen muss. Die beiden Forscher aus Chemnitz geben jetzt einem weiteren Generalverdacht Nahrung: Dass die Hartz-IV-Empfänger nämlich viel mehr Geld bekommen, als sie eigentlich brauchen. Nach ihren Berechnungen müssten 132 Euro im Monat reichen, um Gegenstände des täglichen Bedarfs zu bezahlen.
Mit Verlaub: Das ist ein Witz – und noch dazu ein schlechter. Es ist an Zynismus nicht zu überbieten, von Sozialhilfeempfängern zu verlangen, dass sie ein Jahr auf eine Kinokarte sparen sollen. Oder auf Telefongespräche weitgehend zu verzichten. Denn nichts anderes bedeuten die von den Wissenschaftlern vorgelegten Zahlen. Man mag mit der geltenden Armutsdefinition, dass arm ist, wer weniger als 50 oder 60 Prozent des mittleren Einkommens seiner Mitmenschen zur Verfügung hat, hadern. Aber bei der Ermittlung des absoluten Existenzminimums alle Realitäten so aus dem Auge zu verlieren wie diese Wissenschaftler, ist wahrlich menschenverachtend.
Georg Thanscheidt ist stellvertretender Chefredakteur der AZ
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