So ungerecht ist das System
Nicht nur bei Kindern hapert es: Wo die Probleme von Hartz IV liegen
Für viele lohnt sich Arbeit kaum.
Die staatliche Unterstützung kann im Einzelfall so hoch sein, dass sich Arbeitslose mit Hartz IV nicht viel schlechter stellen als mit einem gering entlohnten Job.
Beispiel: Ein Beschäftigter im Einzelhandel, zwei Kinder, fünf und zehn Jahre alt, der Vollzeit arbeitet, kommt auf 1699 Euro brutto, mit Kindergeld netto auf 1721,55 Euro. Ein verheirateter Arbeitsloser mit zwei Kindern kommt mit Regelsatz für Frau und Kinder sowie den Wohnkosten auf 1630 Euro – kaum weniger als bei einem Vollzeitjob.
Dies widerspricht einem Grundsatz des deutschen Sozialrechts, dem so genannten Lohnabstandsgebot. Danach soll jemand, der arbeitet, in jedem Fall mehr haben, als jemand, der nichts tut. Diese Ungerechtigkeit würde sich noch verschärfen, wenn das Bundesverfassungsgericht heute die Regelsätze für Kinder von Hartz-IV-Empfängern erhöht.
Überall in Deutschland wird Hartz IV in gleicher Höhe gezahlt.
Das ist ungerecht, sagt nicht nur der Chef des Ifo-Institutes, Hans-Werner Sinn. Grund: Die Lebenshaltungskosten sind in den Regionen doch sehr unterschiedlich: „Wir brauchen unterschiedliche Sätze für München oder Frankfurt an der Oder.“
In München kann man von Hartz IV nicht leben.
In München leben derzeit rund 74000 Personen von Hartz IV. Aber in kaum einer Stadt ist es so schwierig, mit HartzIV auszukommen wie hier. München ist die teuerste Stadt Deutschlands – das betrifft nicht nur Miete, sondern alle Bereiche des Lebens, von Lebensmitteln bis Sport oder Kultur. „Ich halte es für extrem schwierig, in München von 359 Euro zu leben“, sagt Bürgermeisterin Christine Strobl. „Wir fordern deswegen schon seit langem, dass der Regelsatz erhöht wird." Doch das ist Sache des Bundes. Deswegen versucht die Stadtverwaltung, über Umwege zu helfen. Zum Beispiel mit einer Starthilfe für Schulkinder – 100 Euro für die Grundausstattung, die ein Schüler eben braucht. Und die sich eine Hartz-IV-Familie ansonsten kaum leisten könnte.
Die Gesetze sind viel zu kompliziert und unpräzise.
Das sagt zum Beispiel der Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereines, Ulrich Schellenberg. Die Folge ist, dass die Gerichte immer häufiger die „handwerklich schlecht gemachten Reformen rechtlich geraderücken“. Jeder zweite Kläger bekommt vor Gericht Recht.
Es gibt keine genaue Definition, was „angemessen“ ist.
Überhaupt keine Regelung gibt es darüber, was bei der Miete „angemessen“ ist. Denn nur diese Summe bekommt der Arbeitslose von seinen tatsächlichen Mietkosten erstattet. Auch schwammig sind die Vorstellungen über das „Existenzminimum“. Es bestimmt die Höhe des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV), das derzeit bei 359 Euro im Monat liegt. Diese Summe wurde statistisch ermittelt, nach einer Befragung von 75000 Haushalten. Der Einwand des Verfassungsrechtlers Matthias Herdegen von der Uni Bonn: Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen berücksichtigt werden, und auch das, „was die Gesellschaft als unverzichtbar für ein menschenwürdiges Dasein betrachtet“.
Menschenwürdig sei, so Herdegen, mehr als ein voller Bauch und eine warme Wohnung. „Man kann sich fragen, ob ein Internetanschluss, ein Handy, Kinobesuche oder das Fitnessstudio ein menschenwürdiges Dasein ausmachen.“ Dies zu konkretisieren, sei aber nicht die Aufgabe der Verfassungsrichter, sondern des Gesetzgebers. mh, lj