So läuft die Gesundheitsreform

Die große Koalition bringt ihr nächstes großes Vorhaben bei den Sozialkassen auf den Weg. Die AZ erklärt die Hintergründe – und auch, wer warum gewinnt und wer verlieren wird
Berlin - Was am Mittwoch im Kabinett beschlossen wird, betrifft den Geldbeutel jedes gesetzlich Versicherten in Deutschland: Die große Koalition bringt ihre Gesundheitsreform auf den Weg. Minister Herrmann Gröhe (CDU) schätzt, dass knapp die Hälfte der Bürger besser dasteht – und gut die Hälfte schlechter. Wobei ausdrücklich erwünscht ist, dass die Verlierer dann ihre Kasse wechseln, um doch noch zu den Gewinnern zu gehören.
Was ist geplant? Heute gilt ein zentraler Beitragssatz von 15,5 Prozent. Der soll Anfang 2015 auf 14,6 Prozent abgesenkt werden. Konkret sollen genau jene 0,9 Prozentpunkte wegfallen, die die Arbeitnehmer derzeit alleine tragen müssen. Das heißt, ein Durchschnittsverdiener mit 2839 Euro brutto hat dann erstmal 25 Euro pro Monat mehr in der Tasche (andere Gehälter siehe Beispiele unten). Und jetzt das Aber: Das reißt ein Loch von insgesamt elf Milliarden Euro in den Haushalt der Krankenkassen. Manche, die jetzt auf einem dicken Polster sitzen, werden es verkraften können. Andere werden ihre Beiträge erhöhen müssen – das ist ihnen künftig eben wieder erlaubt. Bisher waren auf den hohen zentralen Satz nur Zusatzpauschalen möglich, dieses Instrument entfällt komplett. Künftig hat wieder jede Kasse ihren eigenen prozentualen Satz – der Wettbewerb kehrt zurück. Aber Achtung: Diese neuen Zusatzbeiträge müssen von den Arbeitnehmern allein bezahlt werden.
Wer profitiert? Erstens Geringverdiener – weil sich der komplette Beitrag wieder am Einkommen bemisst und die für alle gleich hohe Pauschale wegfällt. Vor allem aber profitieren alle, die jetzt bei einer Kasse sind, die wirtschaftlich gut dasteht. Minister Gröhe hat ausrechnen lassen, dass 20 der 50 Millionen Versicherten (ohne mitversicherte Familienmitglieder) bei Kassen sind, die mit dem neuen, niedrigeren Zentralsatz von 14,6 Prozent auskommen.
Wer zahlt mehr? 30 Millionen sind bei Kassen, denen der neue Satz nicht reicht. Gröhe: „Wie hoch der Zusatzbeitrag ist, hängt davon ab, wie wirtschaftlich die Kasse arbeitet.“ Manche Kassen werden mit einem geringen Extra auskommen, so dass angesichts der sowieso anstehenden Senkung um 0,9 Prozentpunkte immer noch ein Miniplus bleibt. Viele werden wohl einen Zusatzbeitrag von genau jenen 0,9 Prozentpunkten nehmen, dann ändert sich für den Kunden nichts und er wird nicht aufgeschreckt. Einige Kassen werden aber stärker hinlangen müssen. Gesundheitsexperte Jürgen Wasem rechnet mit Aufschlägen von zwei Prozentpunkten – macht bei einem Verdienst von 4000 Euro eine Zusatzbelastung von 80 Euro im Monat. Und: Sobald die Wirtschaft nicht mehr so gut läuft, werden immer mehr Kassen immer höhere Zusatzbeiträge einfordern müssen. Dass der Staat damit rechnet, dass es insgesamt teurer wird, zeigt sich indirekt darin, dass er mehr Geld für die Kassenbeiträge von Arbeitslosen bereits eingeplant hat – für die übernimmt er nämlich die Zusatzbeiträge.
Wieso denn schon wieder eine Gesundheitsreform? Weil es im Koalitionsvertrag so vereinbart wurde. SPD und auch CSU fanden die Kopfpauschale (selbst in der abgespeckten Form als Zusatzpauschale) immer schon falsch, auch die CDU verabschiedet sich jetzt davon. Nun wird auf mehr Wettbewerb gesetzt: Die Versicherten werden durch Sonderkündigungsrechte ausdrücklich ermuntert, zu billigeren Kassen zu wechseln – und künftig ist der Vergleich auf einen Blick möglich. Vor 20 Jahren gab es 960 Kassen, heute sind es 130. Tendenz: weiter sinkend.
Und noch ein paar Zahlen
So profitieren Sie vom Wegfall des zusätzlichen Arbeitnehmeranteils:
Bruttogehalt Ersparnis
1000 Euro 9 Euro
2000 Euro 18 Euro
3000 Euro 27 Euro
4000 Euro 36 Euro
Wenn Ihre Kasse dann einen Zusatzbeitrag von 0,5 Prozentpunkten verlangt:
Bruttogehalt Belastung
1000 Euro 5 Euro
2000 Euro 10 Euro
3000 Euro 15 Euro
4000 Euro 20 Euro
Wenn Ihre Kasse einen Zusatzbeitrag von 1,5 Prozentpunkten verlangt:
Bruttogehalt Belastung
1000 Euro 15 Euro
2000 Euro 30 Euro
3000 Euro 45 Euro
4000 Euro 60 Euro
(Angaben pro Monat).