Siemens: Das Imperium bröckelt
Peter Löscher gibt auf. Er hat keine Lust mehr, sich gegen die über Jahrzehnte gewachsenen Seilschaften bei Siemens zu wehren. Der Noch-Vorstandschef kündigte gestern an, seine Niederlage im Machtkampf um den Chefposten zu akzeptieren. Löschers Nachfolger wird Finanzvorstand Joe Kaeser, seit 1980 im Unternehmen. Kaeser – die neue Hoffnung für den Konzern?
„Immerhin ein Gegner, den wir schon seit langem kennen“, heißt es bei Arbeitnehmervertretern. Begeistert ist aber niemand davon, erneut einen Betriebswirt an der Spitze des Unternehmens zu sehen. Siemens stand in den letzten Jahren immer wieder für kaufmännische Mutlosigkeit, für Furcht vor jeglicher Inspiration. Eine unrühmliche Historie, die sich auch in der bröckelnden Präsenz des Weltkonzerns in der Landeshauptstadt spiegelt.
Wie die Jungfrau zum Kind war München nach dem Krieg zum Hauptsitz des Unternehmens gekommen: Die Bayern-Metropole erschien im Vergleich mit Berlin, der Frontstadt nach Osten, als sicherer. Also wuchs der Konzern in München, wucherte fast. Dank seines Ingenieurswissens entstand ein globaler Riese, der in vielen Märkten den Ton angab. Fast 50000 Menschen arbeiteten Mitte der 1980er Jahre in München. Am S-Bahnhof Siemenswerke war eine kleine Stadt entstanden, in Allach wurden Züge gebaut. Die Siemensianer fühlten sich als Teil einer technologischen Elite, genossen soziale Wohltaten, von denen andere Beschäftigte nur träumen.
Damals war Karlheinz Kaske Vorstandschef, der letzte Mann mit Ingenieurswissen auf diesem Posten. Auf ihn folgten Heinrich von Pierer, Klaus Kleinfeld, Peter Löscher – erstklassige Buchhalter, denen Visionen fehlten, um das Riesenreich Siemens weiterzuentwickeln. Schleichend begann der Abschied von der Technologie-Führerschaft. Der Mobilfunk, das Internet – damit druckten Apple und Google Geld, nicht Siemens.
Währenddessen verabschiedete sich Siemens in München von einem Bereich nach dem anderen. Die Halbleiter: viel zu volatil, zu anstrengend. Die Chipfertigung wurde unter dem Namen Infineon ausgegliedert. Sein Werk in Perlach machte Infineon später dicht, genauso seine Speicherchip-Tochter Qimonda. 2009 meldete Qimonda Insolvenz an.
Die Handysparte: zu viele Probleme im Markt, zu launische Endkunden – Siemens wurde den Bereich 2005 an den taiwanesischen Hersteller Benq los, der kurz darauf seine Zahlungen einstellte. Es folgte die Insolvenz.
Siemens Business Services (SBS): Der IT-Dienstleister, ursprünglich nur für Siemens selbst zuständig, wurde ausgegliedert, sollte sogar an die Börse gehen. Er tat sich schwer damit, Aufträge an Land zu ziehen. Kurzerhand wurde er 2007 wieder eingegliedert und mit vier weiteren IT-Sparten zu „SIS“ zusammengefasst. Wieder große Pläne, wieder ein Flop, wieder eine Restrukturierung: 2009 ordnete Peter Löscher an, SIS auszugliedern. 2011 wurde SIS an Atos veräußert.
Um- und Ausgliederungen, Sparprogramme – das Management verkaufte sie achselzuckend als Folge von Sachzwängen. Machen wir halt wieder etwas dicht. Man könnte diese Haltung auch Wurschtigkeit nennen.
Währenddessen häuften sich handwerkliche Fehler. Wegen eines juristisch schlampigen Ausstiegs aus einem Gemeinschaftsprojekt mit dem ehemaligen Kernkraftpartner Areva musste Siemens 684 Millionen Euro zahlen. Beim Solargeschäft verkalkulierte sich Siemens komplett. Den zugekauften Solarhersteller Solel musste Löscher wieder dichtmachen – fast 300 Millionen wurden in den Sand gesetzt. Dann die Querelen in der Nordsee: Einen Windpark ans Stromnetz auf dem Festland anzubinden, überforderte die Projektmanager – wieder eine halbe Milliarde Euro Kosten. Ganz zu schweigen von den Pannen bei der Zulassung der ICE, die die Bahn erfolgreich als Patzer von Siemens anprangert. Richtig gut läuft es nur in der Medizintechnik – allerdings wird dieser Bereich auch deutlich besser mit Kapital ausgestattet als andere.
Für München ist Siemens als Gewerbesteuerzahler wichtig. Die Zahlungen an die Stadt werden nach einem komplizierten Verfahren aus dem Gewinn, Lizenzen, Mieten und Leasingraten errechnet. Als Arbeitgeber dagegen ist Siemens Welten von seiner früheren Bedeutung entfernt. Zum Ende des Geschäftsjahres werden nur noch schätzungsweise 7000 Siemensianer in München angestellt sein, die meisten in Zentralfunktionen. Am Wittelsbacher Platz entsteht ein respektabler Bau. Bei der Grundsteinlegung sprach Peter Löscher von einem Bekenntnis zur Landeshauptstadt. In Wahrheit hat Siemens München den Rücken zugekehrt. sun
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