Schuldenfalle Krankenversicherung: Immer mehr Rückstände
Kein Geld mehr für den Gesundheitsschutz: In der Corona-Krise haben Versicherte bei den Sozialversicherungen höhere Beitragsschulden angehäuft. Die Rückstände von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und der Pflegeversicherung wuchsen in einem Jahr um rund 700 Millionen auf 18 Milliarden Euro 2020. Das geht aus einer Antwort des Bundessozialministeriums auf eine Anfrage der AfD im Bundestag hervor.
Den größten Anteil machten mit 9,6 Milliarden Euro die Beitragsrückstände von Selbstständigen und anderen freiwillig Versicherten bei den Krankenkassen aus. Allein ihr Schuldenberg wuchs um 544 Millionen Euro innerhalb eines Jahres.
"Versprechungen konnten sie auch keine machen"
Einer von ihnen ist Joschi Frank, der in Unterschleißheim den Mitmachzirkus Bambino betreibt. Durch die pandemiebedingten Schließungen seien ihm sämtliche Einnahmen weggebrochen - und deswegen kann er auch die Beiträge an die AOK Bayern nicht mehr zahlen, sagt er der AZ. "Die Beiträge werden immer höher, es wird immer schwieriger." Momentan hängt er in der Luft, berichtet der Zirkuschef.
Bei der Krankenkasse habe man ihm zugesagt, bald zu entscheiden, wie man ihm nun am besten helfen könne. "Versprechungen konnten sie auch keine machen." Er hofft auf einen Beitragserlass.
So wie Frank geht es vielen, die in der Pandemie ihre Existenzgrundlage verloren haben. Auch das Sozialministerium führt den Schuldenanstieg seit dem Vor-Corona-Jahr vor allem auf die Auswirkungen der Pandemie zurück - und auf die deshalb eingeführte, befristete Möglichkeit einfacherer Stundung von Beiträgen.
Versicherte sehen sich mit den Beiträgen überfordert
Die Beitragsschulden bei den Krankenkassen kommen nach Einschätzung von Beratern von Betroffenen oft daher, dass sich Versicherte mit den Beiträgen überfordert sehen. So sind unter den freiwilligen Kassen-Mitgliedern viele Selbstständige. Sie müssen den kompletten Beitragssatz auf ihre Einkommen bis zu einem Höchstbetrag von derzeit mehr als 760 Euro zahlen.
Auch in München kämpfen immer mehr Selbstständige damit, ihre Versicherungsbeiträge stemmen zu können, -berichtet Marc Wichlajew, Teamleiter bei der Schuldnerberatung des Sozialreferats München und dort zuständig für genau diese Gruppe.
Im Vergleich zu 2019 hätten sich die Anfragen im vergangenen Jahr verdoppelt, sagt er der AZ. "Es melden sich mehr Menschen aus Branchen, die vom Lockdown direkt betroffen sind, aus der Gastro, Anbieter körpernaher Dienstleistungen oder der Veranstaltungstechnik", so der Schuldnerberater. "Aber auch indirekt Betroffene wie zum Beispiel Imbisse oder Bäckereien, denen jetzt wegen der Schulschließungen das Geschäft weggebrochen ist."
Erste Hilfe: Den Krankenkassen-Tarif herunterschrauben
Vielen Selbstständigen sei nicht klar, dass sie beispielsweise Hartz IV beantragen können, sagt Wichlajew - andere seien zu stolz. Er gibt jedoch zu bedenken, dass, wenn Beiträge nicht gezahlt werden, die gesetzlichen Krankenkassen nur noch eine Grundversorgung anbieten müssen und viele Leistungen wegfallen.
Als Erste-Hilfe-Maßnahmen empfiehlt Wichlajew Selbstständigen neben der Beantragung von Grundsicherung und - sofern noch nicht geschehen - von Coronahilfen, die Krankenversicherung auf einen Basis- oder Notlagentarif herunterzuschrauben.
Kein Geld für die Versicherung - was Sie tun können
Durch die Corona-Krise sind viele in finanzielle Not geraten - und wissen nicht mehr, wie sie Prämien etwa für Lebensversicherungen oder private Altersvorsorge zahlen sollen. Die Verbraucherzentrale zeigt Möglichkeiten auf, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken:
+ Umstellung der Zahlweise: Statt der Zahlung eines Jahresbeitrags könne man nach Rücksprache mit dem Versicherer auf monatliche oder vierteljährliche Zahlung umstellen. Dies kann zwar mit Zuschlägen verbunden sein, reduziert aber kurzfristig die finanzielle Belastung.
+ Stundung: Beiträge können gestundet werden, das heißt, man zahlt die Prämien nach, der Versicherungsschutz besteht aber weiter. Dies ist auch für die Krankenversicherung möglich und wurde in der Corona-Krise gesetzlich erleichtert. Ansprechpartner ist die Krankenkasse.
+ Vertrag ruhen lassen: Mit dem Versicherer kann eine "Ruhensvereinbarung" geschlossen werden, in dieser Zeit besteht aber kein Versicherungsschutz. Nach Ablauf der Ruhenszeit wird der Vertrag zu alten Bedingungen fortgeführt.