Rot-Grün? Grün-Rot!

Keiner redet mehr von Schwarz-Grün. Warum auch? AZ-Politikchef Frank Müller über den nicht zu stoppenden Aufstieg der Grünen
Schon bei der letzten Umfrage, als SPD und Grüne noch gleichauf lagen, hatte die AZ spekuliert, ob Claudia Roth irgendwann Bundeskanzlerin Angela Merkel als Kanzlerin ablöst. Das ist gestern zumindest nicht unwahrscheinlicher geworden. Forsa sieht als erstes Institut die Grünen als zweitstärkste Kraft im Land. Man wird sich an eine neue Koalitions-Begrifflichkeit gewöhnen müssen: Rot-Grün war gestern, künftig ist – vielleicht – Grün-Rot.
Die Frage, ob der rasante Aufstieg der Grünen verdient oder gerecht ist, ist müßig. Er ist. Im Parteienroulette nach der Wahl sind die Grünen die einzige Kraft, die alles richtig gemacht hat: Sie waren griffiger als die Union, vertrauenswürdiger als die FDP, konsequenter als die SPD und moderner als die Linke. Dass der grüne Aufschwung dabei labil ist und auch von der Schwäche der Gegner lebt – geschenkt. So ist es immer im Parteienwettstreit. Wie stark sich die Machtverhältnisse verschoben haben, macht die Debatte um Schwarz-Grün klar. Noch vor einem Jahr galt dies als Bündnis der Zukunft. Heute saugen die Grünen junge konservative Milieus einfach auf.
Dennoch müssen die Grünen aufpassen, wenn sie ab nun in einer anderen Liga spielen wollen: Noch lassen ihnen die Wähler den Luxus, eine Partei mit zwei Stimmen zu sein. Gegen Olympia für die Basis, pro Olympia für den Münchner Koalitionsfrieden, gegen Stuttgart 21 auf der Straße, für einen Bahnausbau vielleicht bald am Kabinettstisch: Die Zeit für solche Doppelstrategien läuft ab.