Riesenproteste gegen Sparpolitik in Portugal

Bei einer der größten Protestkundgebungen aller Zeiten haben Hunderttausende im hoch verschuldeten Portugal gegen die Sparpolitik der Regierung aufbegehrt.
von  dpa

Bei einer der größten Protestkundgebungen aller Zeiten haben Hunderttausende im hoch verschuldeten Portugal gegen die Sparpolitik der Regierung aufbegehrt. Die Demonstranten gingen am Samstagabend in rund 40 Städten des kleinen Eurolandes auf die Straßen.

Lissabon - Medien schätzten die Teilnehmerzahl auf rund eine Million. In Aveiro 200 Kilometer nördlich von Lissabon setzte sich ein Demonstrant in Brand. Er wurde dabei schwer verletzt. Überall forderten die Demonstranten den Rücktritt des Regierungschefs Pedro Passos Coelho. "Eine brutale rote Karte (für die Regierung)", titelte das Massenblatt "Correio da Manha".

Die Zeitung "Público" schrieb am Sonntag, es habe sich wohl um die größte Demonstration seit dem Ende der Diktatur 1974 gehandelt. Die über Facebook organisierte Kundgebung stand unter dem Motto "Zum Teufel mit der (Geldgeber-)Troika! Wir wollen unser Leben".

Die Menschen machten ihrem Ärger über jüngste Sparaktionen der Mitte-Rechts-Regierung von Passos Coelho Luft. "Sie haben Basta gesagt!", so "Público". Empörung hatte nach mehreren Sparpaketen in den vergangenen vor allem die Ankündigung einer Erhöhung der Sozialversicherungsabgabe von 11 auf 18 Prozent ausgelöst. Der Arbeitgeberbeitrag soll von 23,75 auf 18 Prozent gesenkt werden. Die stärkste Oppositionskraft, die Sozialistische Partei PS, hatte erst am Donnerstag dem Sparprogramm deshalb ihre Unterstützung entzogen.

Teilnehmer einer drei Kilometer langen Marschkolonne bewarfen in Lissabon die Vertretung des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit Tomaten und Böllern. Noch bis nach Mitternacht protestierten viele vor dem Parlamentsgebäude. Die Polizei nahm in der Hauptstadt fünf Menschen fest.

Sozialistenchef António Seguro hatte am Donnerstag erklärt, seine Partei werde gegen den Etatentwurf 2013 stimmen. Er drohte zudem mit einem Misstrauensantrag gegen die Regierung, falls die Sparpolitik vor dem Hintergrund einer Rekord-Arbeitslosigkeit von 15,7 Prozent beibehalten werde. Oppositionspolitiker erklärten am Rande der Proteste, die Regierung müsse einen Rückzieher machen oder gehen.

Im Parlament hat die Regierungskoalition aus der liberalen Sozialdemokratischen Partei (PSD) von Ministerpräsident Passos Coelho und dem rechtskonservativen Demokratischen und Sozialen Zentrum (CDS) zwar eine ausreichende Mehrheit, um den Etatentwurf durchzusetzen. In den vergangenen Tagen hatte sich jedoch sowohl innerhalb der PSD als auch beim CDS Widerstand gegen die neuesten Maßnahmen geregt.

Portugal hatte bisher bei der Sanierung der Staatsfinanzen Erfolg. Im August hatte das Finanzministerium im ärmsten Land Westeuropas aber eingeräumt, man werde wegen eines Einbruchs der Steuereinnahmen infolge der Rezession das für 2012 festgelegte Haushaltsdefizit-Ziel ohne zusätzliche Sparmaßnahmen nicht mehr erreichen. Die Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB), die Portugal 2011 mit einem 78-Milliarden-Euro-Paket unter die Arme griff, verlängerte daraufhin das Sanierungsprogramm des Landes um ein Jahr auf 2014.

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