Rentensystem - Axel Börsch fordert eine Erhöhung des Eintrittalters - "2:1- Formel"

Der Wirtschaftsprofessor Axel Börsch-Supan aus München macht mit seiner Formel klar, dass wir langfristig um eine Erhöhung des Eintrittsalters nicht herum kommen werden. Hier sagt er, warum.
"Die 2:1-Formel": Einfache Rechnung, große Wirkung
Wirtschaftsprofessor Axel Börsch-Supan ist der Überzeugung, dass ein stabiles Rentenniveau nur durch ein späteres Renteneintrittsalter gehalten werden kann.
Die Rechnung, die er dafür aufstellt, ist einfach: Für zwei Jahre mehr Lebenserwartung sollten wir ab 2030 ein Jahr länger arbeiten müssen. Er nennt das Ganze „2:1-Formel“. Im Gespräch mit der AZ erklärt er, wie er auf diese Rechnung kommt: „Der Rentenbeitragssatz liegt, wenn man alles miteinberechnet, bei etwa einem Drittel. Man will aber doppelt so viel, also etwa zwei Drittel, als Rente wieder heraus bekommen. Und wenn man nur die Hälfte einzahlt, muss man es über die doppelte Zeit wieder hereinholen.“
Konkret würde das bedeuten, dass alle Mädchen und Buben, die 2017 geboren werden, erst mit 69 Jahren und fünf Monaten in Ruhestand gehen würden. Denn ihre Lebenserwartung liegt im Schnitt um rund fünf Jahre höher als bei den heute 60-Jährigen, die mit 65 Jahren und 11 Monaten in Rente gehen können. Die heute 30-Jährigen (Lebenserwartung 87 Jahre) würden mit 67 Jahren und elf Monaten in den Ruhestand starten, die 20-Jährigen (Lebenserwartung 88 Jahre) mit 68 Jahren und sechs Monaten.
Das Interview mit Axel Börsch-Supan
Der Wirtschaftswissenschaftler gilt als einer der besten Kenner des deutschen Rentensystems. Seit 2011 leitet er das Munich Center for the Economics of Aging (MEA) als Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik in München.
AZ: Herr Börsch-Supan, Ihre Rentenformel, die Sie am Montag im Bundestag vorgestellt haben, klingt einfach: 2:1 – also eine um drei Jahre höhere Lebenserwartung soll in zwei Jahre mehr Arbeiten und ein Jahr mehr Rentenbezug aufgeteilt werden. So können die Renten gesichert werden. Ist es wirklich so einfach?
Axel Börsch-Supan: Ja, aber erst einmal: Mit der Rentenformel hat meine Berechnung nichts zu tun. Die beschreibt, wie hoch die Rente ist. Hier geht es um etwas anderes.
Nämlich?
Es geht darum, dass man einfach doppelt so lange arbeiten muss, wie man Rente bezieht. Deshalb 2:1. Das heißt: Jedes Jahr Rente kostet rund zwei Jahre Arbeit.
Und das wäre die Lösung, um die Renten auf Dauer stabil zu halten?
Ja. Stellen Sie sich einmal vor, wir leben immer länger und länger, gehen aber trotzdem weiterhin mit 65 in Rente. Dann sind wir irgendwann länger in Rente, als wir arbeiten. Das geht einfach nicht. Außerdem hätte die 2:1-Regel auch zur Folge, dass das Rentenniveau nicht ganz so stark absinkt. Im Gegenteil. Wer länger arbeitet, erhöht seine Rentenansprüche.
Als neuralgisches Jahr für die Rente wird immer 2030 genannt. Warum?
Bislang hat die Bundesregierung Prognosen bis 2030 gemacht. Bis dahin sieht aber alles gut aus. Das Rentenniveau geht zwar ein bisschen herunter und die Beiträge ein bisschen herauf, aber alles bleibt innerhalb der Haltelinien, die sich die Politik gesetzt hat.
Und nach 2030?
Da werden wir diese Haltelinie durchbrechen. Erst durchbricht sie der Beitragssatz, ein paar Jahre später das Rentenniveau. Deshalb muss nach 2030 in der Politik etwas passieren, wenn man verhindern will, dass die Beitragssätze durch die Decke schießen und das Rentenniveau immer weiter absinkt.
Und was muss passieren?
Die Reform, die wir nach 2030 brauchen, ist eine Anpassung des Rentenalters. Dann lösen sich alle anderen Probleme von selbst.
Aber können wir wirklich länger arbeiten, nur weil wir älter werden?
Wenn die Gesundheit sich so weiter verbessert, wie sie das in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, können wir auch länger arbeiten. Das wäre in früheren Zeiten unmöglich gewesen. In Zukunft ist es das nicht mehr.
Der Vorschlag, das Renteneintrittsalter zu erhöhen, wird immer wieder gebracht.
Doch der Aufschrei ist jedes Mal groß.
Ja klar. Für die meisten ist es sehr schwer, sich vorzustellen, dass wir immer gesünder werden, und die vielen Probleme, die man im Alter hat, erst später kommen. Aber es ist so.
Aber ein Bauarbeiter kann doch nicht so lange arbeiten wie jemand, der im Büro sitzt.
Natürlich nicht. Da muss man unterscheiden. Je länger das Arbeitsleben ist, umso mehr Leute wird es geben, die das nicht schaffen. Und denen muss natürlich auch weiterhin geholfen werden. Dafür gibt es die Erwerbsminderungsrente. Sie müsste weiter ausgebaut werden.
Das Renteneintrittsalter weiter zu erhöhen, wird dennoch schwer durchzusetzen sein.
Das Ganze passiert ja nicht von heute auf morgen, und der Schritt ist auch nicht vor 2030 notwendig. Das geht alles ganz langsam. Um das Rentenalter von 65 auf 67 zu erhöhen, haben wir 20 Jahre gebraucht. Und genauso wird es weitere 20 Jahre dauern, um das Rentenalter auf 69 zu erhöhen.
Drehen wir das Ganze einmal um. Sagen wir, unsere Lebenserwartung sinkt wieder – so wie es den Amerikanern prognostiziert wurde, weil sie immer ungesünder leben.
Sollte das bei uns tatsächlich eintreten, dann kann man meine Berechnung natürlich auch umgekehrt anwenden. Also dass das Renteneintrittsalter wieder der sinkenden Lebenserwartung angepasst wird. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass das bei uns so kommen wird.
Was macht Sie da so sicher?
Weil man diese Entwicklung in den USA nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen kann. Die Lebenserwartung der Wohlhabenderen steigt auch dort nach wie vor. Die schlechter Verdienenden haben oft keine Krankenversicherung, gehen deshalb auch nicht zum Arzt. Und jetzt schafft Donald Trump auch noch für rund 20 Millionen Amerikaner die mühsam errungene Krankenversicherung wieder ab. Von so einer Entwicklung sind wir hier in Deutschland Gott sei Dank weit weg.
Sie gelten als der besten Kenner unseres Rentensystems. Was ist das größte Problem?
Dass viele meinen, das Rentensystem hätte ein Problem. Das ist nicht richtig. Wir müssen uns besser um die Erwerbsgeminderten kümmern, da sind wir zu wenig großzügig. Ein weiteres Problem sind die Langzeitarbeitslosen und die kleinen Selbstständigen. Aber das System für den Otto-Normal-Verbraucher funktioniert. Wir müssen uns klar machen, wie gut wir es haben im Vergleich zu anderen Ländern.