Rente: "Die Politik ist an einer Kehrtwende nicht interessiert"
München - Die AZ hat mit Holger Balodis gesprochen. Der Rentenexperte berichtete über 20 Jahre lang als Autor u.a. für die ARD-Magazine "plusminus" & "Monitor".
AZ: Herr Balodis, der frühere Vorsitzende des Sozialbeirats der Regierung, Franz Ruland, warnt vor Panikmache bei der Diskussion um Altersarmut. Wird die Armutsdebatte von schrillem Alarmismus bestimmt?
Holger Balodis: Die Rentenalarmglocken müssten noch viel lauter klingen. Schaut man auf die aktuelle Politik, so wird doch gegen die steigende Altersarmut von der GroKo fast nichts unternommen.
Was kritisieren Sie an Ruland und dessen Aussage?
Er lässt Fakten schlicht unter den Tisch fallen. So wissen wir, dass rund zwei Drittel der bedürftigen Rentner heute aus Scham keine Grundsicherung beantragen.
Die stehen dann zwar nicht in der Statistik, sind aber trotzdem arm.
Und dass deren Zahl noch wachsen wird, liegt daran, dass breite Massen der Bevölkerung schlicht zu wenig verdienen. In unserem Rentensystem führen geringe Einkommen zwangsläufig zu kleinen Renten. Schaut man auf den heutigen Niedriglohnsektor und die extrem schiefe Einkommensverteilung, dann weiß man, auf was wir zusteuern: massenhafte Altersarmut.
Welche gesellschaftlichen Schichten sind am meisten von Altersarmut bedroht?
Man macht es sich zu einfach, wenn man als gefährdete Gruppen nur kleine Selbstständige, Langzeitarbeitslose und Erwerbsgeminderte benennt. Zukünftig bedroht die Altersarmut aber auch die Mitte der Gesellschaft. Schaut man auf die heutigen Einkommen, so hat die untere Hälfte der rund 32 Millionen versicherungspflichtig Beschäftigten ein Monatseinkommen von weniger als 2.600 Euro brutto. Das bringt auch bei langer Beschäftigung kaum mehr Rente als die staatliche Grundsicherung.
Diese Personen haben wenig oder gar keinen Spielraum, privat vorzusorgen.
Und sie werden sehr häufig keine nennenswerte Betriebsrente erhalten. Besonders betroffen sind Frauen, aber auch Millionen Männer verdienen richtig schlecht.
Die GroKo plant, das Rentenniveau bei 48 Prozent zu stabilisieren. Lässt sich so das Problem der Altersarmut lösen?
Eindeutig nein. Zum einen gilt das GroKo-Versprechen nur bis 2025. Zum anderen sind die Löhne viel zu gering. Wir brauchen höhere Einkommen, vor allem bei den unteren Lohngruppen. Kurzfristig hilft denen aber nur die Einführung einer Mindestrente, die allen, die lange gearbeitet haben, eine Rente garantiert, von der sie auch leben können.
Viele Münchnerinnen haben einen Rentenanspruch von nur wenigen Hundert Euro monatlich. Bereits jetzt schon schaffen sie es nicht, die Miete zu bezahlen. Wie soll da ein sorgenfreies Leben in Würde möglich sein?
Diese Schicksale werden zunehmen. Oft bestreiten Reformgegner die Notlage, sie führen die noch sehr ordentlichen durchschnittlichen Alterseinkommen ins Feld. Hier sind aber die hohen Beamtenpensionen eingerechnet, zudem gute Betriebsrenten und Kapitaleinnahmen. All das haben arme Rentner nicht. Denen hilft nur eine Mindestrente.
Wie könnte ein realistisches Rentenmodell der Politik aussehen, das den Senioren im Alter ihren Lebensstandard nahezu sichert?
Die Österreicher zeigen uns tatsächlich, wie es geht: Sie haben die Rente nach dem Modell "45-65-80" konstruiert. Nach 45 Versicherungsjahren soll ein Versicherter im Alter von 65 Jahren eine Rente beziehen, die rund 80 Prozent seines früheren Einkommens absichert. In der Praxis führt dies zu Rentenzahlungen, die in vielen Fällen rund doppelt so hoch sind wie bei uns. Besser stehen auch Kleinverdiener da, die in Österreich eine Mindestrente von 1038 Euro erhalten. So etwas brauchen wir ganz dringend in Deutschland.
Wie lässt sich ein solches Modell bezahlen?
Die Österreicher haben um rund vier Prozentpunkte höhere Beiträge als die Deutschen. Sie lassen alle einzahlen: auch Selbstständige sowie Beamte. Und der Finanzminister gleicht voll die aufgestockte Mindestrente aus. Für die Arbeitnehmer ist das unterm Strich billiger als in Deutschland, weil sie kein Geld in eine Riester-Rente einzahlen müssen.
Dafür müssen Arbeitgeber mehr Beiträge zahlen.
Sie werden in Österreich mit 12,55 Prozent stärker belastet als die Beschäftigten mit 10,25 Prozent. Bei uns hat man es umgekehrt gemacht und Arbeitnehmer per Riester-Rente stärker zur Kasse gebeten als Arbeitgeber.
Warum findet das österreichische Modell in Deutschlands Politik so gut wie gar keine Freunde?
Politik, Finanzwirtschaft und Arbeitgeber sind an einer echten Renten-Kehrtwende überhaupt nicht interessiert. Die Politik tut so, als seien die Hausaufgaben in der Rente im Wesentlichen erledigt. Die Finanzwirtschaft hat an besseren Renten kein Interesse, sonst wäre das Hauptverkaufsargument für private Altersvorsorge passé. Und die Arbeitgeber wissen, dass bessere Renten zwangsläufig höhere Arbeitgeberbeiträge und Steuern bedeuten. Beides scheuen sie wie der Teufel das Weihwasser.
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