Recht auf Durchwahl

Ein Gericht urteilt, dass Bürger sich nicht mit der Nummer der Telefonzentrale einer Behörde zufrieden geben müssen – sie haben Anspruch auf den direkten Draht zu ihrem Ansprechpartner.
von  AZ Aktuellredaktion / Aktuelles
Anwalt Feiertag: Die meisten Gerichtsverfahren ließen sich vermeiden, wenn die Ämter und die Bürger miteinander sprechen würden.
Anwalt Feiertag: Die meisten Gerichtsverfahren ließen sich vermeiden, wenn die Ämter und die Bürger miteinander sprechen würden.

LEIPZIG/MÜNCHEN 1000 Mal probiert, 1000 Mal ist nichts passiert – diese (leicht abgewandelte) Liedzeile gilt für viele Bürger, wenn sie ein Anliegen mit einer Behörde klären wollen. Der Leipziger unabhängige OB-Kandidat und Rechtsanwalt Dirk Feiertag errang jetzt vor dem Verwaltungsgericht einen Erfolg: Das Jobcenter der sächsischen Metropole muss die Telefonliste seiner Sachbearbeiter samt Durchwahlen herausgeben.

 

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig – trotzdem stellte Feiertag kurzerhand eine Telefonliste, die ihm zugespielt worden war, ins Netz. Das Verfahren hat über Leipzig hinaus Bedeutung, sagt er: „Das Informations-Freiheitsgesetz, dass der Entscheidung des Gerichts zugrunde liegt, gilt für alle Bundesbehörden.“ Das Gesetz legt fest: „Jeder hat gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.“

Bisher gab es in der Behörde keinen direkten Kontakt zum Sachbearbeiter. Auch Feiertag, der zusammen mit Anwältin Kristina Sosa Noreña Hartz-IV-Empfänger vertritt, blieb in der Regel beim Call-Center hängen. „Dort wird dann oft ein Rückruf versprochen, der in der Hälfte der Fälle aber nicht stattfindet.“ Auch wer persönlich bei der Behörde vorspreche, beiße auf Granit: „Bürger werden vom Empfangsbereich in die Eingangszone weitergeschickt, dort vertröstet und in aller Regel nicht zu ihrem Sachbearbeiter vorgelassen.“

Der Grund für die systematische Abwimmelei: Viele Sachbearbeiter seien überlastet, sagt Feiertag. Das Nachsehen hätten Bürger, die zum Teil auf Geld verzichten müssten, weil ihre Anträge über Wochen nicht bearbeitet würden. „Wir sehen täglich, wie Hilfebedürftige in existenzielle Notsituationen geraten.“

Münchner Arbeitslose haben es da besser: Sie können zu den Sprechzeiten ihren Sachbearbeiter anrufen. Ist der krank oder in Urlaub, gibt’s eine Vertretung. Kundenfreundlichkeit wird auch bei den Münchner Finanzämtern groß geschrieben.

Ein Informationsfreiheitsgesetz wie auf Bundesebene oder in den meisten anderen Bundesländern, mit dem sich Ansprüche gegenüber den Behörden begründen ließen, gibt es in Bayern aber nicht. „Die Rechte des Bürgers sind bereits durch prinzipielle ungeschriebene Grundsätze im Verwaltungsrecht gewahrt“, heißt es im Innenministerium.

Ob sich viel Arbeit vermeiden lässt, wenn Sachbearbeiter nicht direkt mit den Bürgern sprechen, ist fraglich. Sabine Schudoma, die Präsidentin des Berliner Sozialgerichts, ertrinkt fast in einer Flut von Hartz-IV-Klagen. Vier von fünf Gerichtsverfahren würden sich vermeiden lassen, wenn die Kommunikation funktioniere, sagt sie. Anwalt Dirk Feiertag sieht es ähnlich. Zwei Drittel seiner Hartz-IV-Verfahren gingen zu Gunsten der Bürger aus, sagt er – und wären vermeidbar gewesen, hätten sie gleich zu Beginn mit dem Amt sprechen können.

 

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