Pegida in Sachsen: Hass als Standortrisiko
Dresden – Unternehmer Heinz Martin Esser berichtet von Einzelfällen – aber es gibt sie. Der Professor, der seine Familie lieber nicht nach Dresden nachholen will. Ausländische Mitarbeiter in der Chipindustrie, die beim Ausgehen in der Stadt angefeindet werden. Investoren und Kunden, die fragen, was in Sachsen eigentlich los ist. „Dem Osten haftet derzeit ein Prädikat an. Und zwar kein gutes“, sagt Esser, der dem regionalen Branchenverband Silicon Saxony vorsteht.
Nicht nur die Halbleiterindustrie, an der allein in Sachsen 300 Unternehmen mit 25 000 Arbeitsplätzen hängen, auch Wirtschaftsverbände und Marketingexperten sorgen sich nach den fremdenfeindlichen Vorfällen in Bautzen und Clausnitz um den Ruf Sachsens – und mögliche Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort.
Schwieriger, qualifizierte Fachkräfte nach Sachsen zu holen
„Internationalität und Weltoffenheit ist eine Voraussetzung dafür, dass wir in Sachsen die Arbeitsplätze halten können“, so Esser. Gerade die Halbleiterbranche ist weltweit vernetzt, große Firmen wie Infineon und Globalfoundries beschäftigen viele Mitarbeiter aus dem Ausland, haben internationale Kunden.
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Unternehmer Esser sieht die Gefahr, dass es schwieriger wird, qualifizierte Fachkräfte nach Sachsen zu holen.
„Es gibt eine gewisse Verunsicherung“, sagt Diana Heuer, Sprecherin bei Infineon Dresden. Das Unternehmen beschäftigt in der sächsischen Landeshauptstadt 2000 Mitarbeiter aus 17 Nationen. „Für uns als internationales Unternehmen ist es wichtig, dass Sachsen und die Stadt Dresden den Ruf haben, weltoffen und tolerant zu sein“, betont Geschäftsführer Mathias Kamolz.
„Die Wirtschaft Sachsens wird einen hohen Preis bezahlen“
Heinz Martin Esser ärgert sich, dass „eine Minderheit eine ganze Region verunglimpft“. Der Branchenverband will deshalb Position beziehen und auch in den Betrieben mit Aushängen auf die jüngsten Vorfälle reagieren. Auf deutsch und englisch soll den Mitarbeitern deutlich gemacht werden, dass die Hightech-Branche auf ein gutes internationales Netzwerk angewiesen ist.
Erst vor wenigen Tagen hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im „Handelsblatt“ vor den Folgen für den Standort Ostdeutschland gewarnt. „Die Wirtschaft Sachsens wird für die Fremdenfeindlichkeit mancher seiner Bewohner einen hohen wirtschaftlichen Preis zahlen“, so DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Gute Arbeitsplätze würden abwandern – und mit ihnen Fachkräfte.
Ganz so drastisch will es die Industrie- und Handelskammer in Dresden nicht formulieren. Immer noch seien Wachstum und Investitionen vor allem von wirtschaftlichen Faktoren abhängig, beteuert ein Sprecher.
Es sei aber zu befürchten, dass dem Imageschaden irgendwann auch messbare Nachteile – etwa bei Auftragseingängen oder der Fachkräftegewinnung von außerhalb Sachsens folgen könnten, erklärt IHK-Chef Detlef Hamann im „Handelsblatt.“
Marketingexperten in Dresden sprechen schon von einem „Pegida-Effekt“ und einem Imageverlust für die sächsische Landeshauptstadt. 2015 gingen die Übernachtungszahlen zum ersten Mal seit Jahren zurück - um drei Prozent auf 4,3 Millionen. Tourismus ist mit 24 000 Beschäftigten ein wichtiger Wirtschaftszweig für die Elbestadt. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Gabriele Hiller-Ohm sieht durch die Übergriffe sogar das Image Deutschlands als Reiseland in Gefahr.
Die Vorfälle werfen auf den Standort Sachsen auf jeden Fall ein schlechtes Licht, sagt Peter Nothnagel von der Wirtschaftsförderung Sachsen. Wenn bisher auch noch kein Investor bekannt ist, der sich zurückgezogen hat, rät er Unternehmen, rasch zu handeln: zum einen die eigenen Mitarbeiter für das Thema Integration und Toleranz zu sensibilisieren. Und zum anderen – wenn möglich – anerkannte Asylbewerber als Praktikanten einzustellen.
So wie es etwa die Fraunhofer-Gesellschaft in Dresden seit wenigen Wochen praktiziert. „Wenn in einzelnen Firmen die Menschen dann über ihre Einstellung nachdenken, das hilft schon.“
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