Neuer Erfahrungshorizont

Geht die Grundschulzeit zu Ende, stellen sich Kindern viele Fragen: Was erwartet mich? Wie komme ich an der neuen Schule zurecht? Lerne ich neue Freunde kennen? „Für die Kinder ist das ein sehr bedeutendes Lebensereignis”, sagt Stefan Drewes, Bundesvorsitzender der Sektion Schulpsychologie vom Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP).
Ob Haupt-, Realschule oder Gymnasium, der Wechsel von der Grundschule bedeutet eine große Veränderung. „Grundschulen sind eher klein und übersichtlich für die Schüler, die weiterführenden Schulen hingegen meistens sehr groß und weitläufig”, erklärt Drewes. Eine Veränderung, die Eltern häufig nicht bewusst ist – Erwachsenen erscheint es normal, dass sich Dinge verändern. „Man darf aber nicht vergessen, dass die Kinder jetzt in einen ganz neuen Erfahrungshorizont übergehen.” Nicht nur das große, unbekannte Gebäude, die fremden Klassenräume und der Schulhof müssen erstmal erkundet werden, sondern auch die vielen neuen Menschen, Klassenkameraden und Lehrkräfte. „Hinzu kommen oft noch lange Busfahrten, der Weg vom Bahnhof zur Schule und zurück, längere Stundenpläne und neue Unterrichtsfächer”, sagt Ulrike Sirsch vom Institut für Entwicklungspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Wien.
In dieser Phase sind die Eltern gefragt: „Es ist wichtig, mit seinem Kind über die neue Schule zu sprechen”, rät Herbert Schiffmann von der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächstherapie.
„Oft belasten Kinder sehr diffuse Ängste und Sorgen, die sich bei näherer Betrachtung als unnötig herausstellen.” Grundsätzlich empfehlenswert sei es, mit dem Kind die zukünftige Schule im Vorfeld zu besuchen, zum Beispiel bei einem Tag der offenen Tür. „So bekommen Kinder einen direkten Eindruck, können die Klassenräume besichtigen, vielleicht schon neue Lehrer kennenlernen”, sagt Drewes. Idealerweise lässt sich so ein Schulbesuch gleich mit einer Busfahrt der zukünftigen Tagesroute verbinden.
„Das Wichtigste ist, dem Kind uneingeschränkt Mut zu machen”, sagt Schiffmann. Gerade bei „Wackelkandidaten”, also Kindern, die auf eine Schule geschickt werden, die nicht ihrer Schullaufbahnempfehlung entspricht, neigen Eltern häufig dazu, Druck aufzubauen. Doch Sätze wie „Jetzt musst du aber richtig Gas geben” oder „Wenn du dich dort nicht anstrengst, dann wird das nichts” machen Angst und belasten das Kind, noch bevor es überhaupt einen Fuß in die neue Schule gesetzt hat.”
Sobald die Wahl für eine Schulform getroffen ist, sollten Eltern ihr Kind nur noch bestärken und ermutigen”, so die Wiener Gesundheitspsychologin und gibt zu bedenken, dass Eingewöhnungs- und Umstellungsschwierigkeiten an einer neuen Schule ganz normal sind.
„Man kann eigentlich erst nach einem Jahr abschätzen, ob das Kind mit der geforderten Leistung umgehen kann”, sagt Drewes. Der Schulpsychologe empfiehlt Eltern, auch bei zunächst schlechten Zensuren nicht den Glauben an das Kind zu verlieren oder bereits den nächsten Schulwechsel vorzubereiten. „Bevor das geschieht, sollten Eltern mit den Lehrkräften ihres Kindes sprechen”. Hinter Fünfen und Sechsen können nämlich auch psychische Probleme stecken.
Auch wenn Eltern keine Nachhilfelehrer sein sollten, in der Anfangszeit ist eine Begleitung des Schülers wichtig: „Es gibt so viele neue Fächer, Aufgaben, Zettel und Vokabeln, das kann die Kinder schnell überfordern”, sagt Sirsch und empfiehlt Eltern, z.B. am Abend gemeinsam mit dem Kind auf den Stundenplan des nächsten Tages zu schauen oder sich Termine für wichtige Wochenaufgaben oder Klassenarbeiten zu notieren. „Die weiterführenden Schulen verlangen den Schülern Strukturen und Selbstverantwortlichkeit ab, die sie von der Grundschule noch nicht gewöhnt sind.”