Neue Turbulenzen an den Börsen: Dax bricht ein, Finanzwerte unter Druck
FRANKFURT - Der deutsche Index sinkt vorübergehend auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren - und die Notenbanken pumpen 156 Milliarden Euro in die Märkte. Und nun ist klar: Auch Privatanleger gehören zu den Geschädigten.
Trotz milliardenschwerer Hilfen von Notenbanken hat sich der Ausverkauf an den Börsen fortgesetzt. Nachdem die Aktien wegen der US-Finanzmarktkrise bereits am Montag eingebrochen waren, bekamen sie gestern erneut die Auswirkungen der US-Bankenkrise zu spüren. Der Deutsche Aktienindex (Dax) verlor bis zu 2,9 Prozent und sank vorübergehend auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren. Auf den Verkaufslisten standen vor allem Bank-Aktien – und Versicherungspapiere.
Denn die Krise ist nun endgültig in der Versicherungsbranche angekommen. Am Montag stuften drei große Ratingagenturen den weltgrößten Versicherungskonzern American International Group (AIG) herab. Er braucht dringend eine Finanzspritze in zweistelliger Milliardenhöhe – nach dem Willen der US-Zentralbank Fed sollen die Investmentbank Goldman Sachs und die Großbank JP Morgan Chase mit einem Notkredit über 75 Milliarden Dollar einspringen. Einen Zusammenbruch von AIG kann sich die Branche nicht leisten: Der Konzern spielt eine wichtige Rolle bei der Risikoabsicherung der gesamten Finanzwelt. „Die Versicherungen haben zum Teil die riskanten Papiere der Investmentbanken und Immobilienfinanzierer rückversichert, zum Teil aber auch selbst solche Papiere gekauft“, sagt der Erlanger Banken-Experte Wolfgang Gerke.
Die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank of England und die Bank of Japan stellten den Märkten gestern insgesamt mehr als 156 Milliarden Euro zur Verfügung, um eine Kreditklemme der Banken nach den Erschütterungen an der Wall Street abzuwenden.
Die Banken helfen sich gegenseitig
Zehn Großbanken aus Deutschland, den USA, Großbritannien und der Schweiz griffen inzwischen zur Selbsthilfe: Sie gründeten einen Krisentopf und sagten einander weitreichende Unterstützung zu. Jede der Banken erklärte sich bereit, Kredite in Höhe von bis zu sieben Milliarden Dollar zu gewähren, falls eines der anderen Institute frisches Kapital benötigt. Neben der Deutschen Bank gehören unter anderem die Bank of America, Goldman Sachs, JP Morgan Chase, Merrill Lynch und UBS dem Verbund an.
Unterdessen fordern Politiker eine schärfere Kontrolle der internationalen Finanzmärkte. Finanzminister Peer Steinbrück geißelte die „spekulative Zügellosigkeit“ mit „selbstzerstörerischem Charakter“. Den Einfluss der Finanzmarktkrise auf die deutsche Wirtschaft hält er aber für begrenzt. Es gebe keinen Anlass, an der Widerstandsfähigkeit des deutschen Bankensystems zu zweifeln. Die „finanziellen Engagements deutscher Kreditinstitute“ bei der zusammengebrochenen Investmentbank Lehman Brothers bewegten sich in einem „überschaubaren Rahmen“ und seien „verkraftbar“.
Bei vielen Anlegern dürfte das anders aussehen: Käufer von Lehman-Brothers-Zertifikaten stehen womöglich vor einem Totalverlust. Tausende deutsche Anleger müssten um ihre Ersparnisse bangen, sagte Volker Pietsch, der Chef des Deutschen Instituts für Anlegerschutz. So hatte zum Beispiel die Direktbank DAB im Juli für ein Garantie-Zertifikat von Lehman Brothers geworben – der hohe Zins von sechs Prozent habe viele Anleger gelockt, so Pietsch. Sie glaubten, dass sie mit dem Kauf eines Garantie-Zertifikates auch einen Bestandsschutz für ihr eingesetztes Geld genießen – ein möglicherweise fataler Irrtum. Wie viele Kunden betroffen sind, wollte die DAB nicht verraten. Sprecher Jürgen Eikenbusch zur AZ: „Dazu geben wir grundsätzlich keine Auskunft.“
Sandra Petrowitz