Nation der Mini-Jobber
Von wegen deutsches Jobwunder: In Deutschland arbeiten erstmals mehr als 7,3 Millionen Menschen in geringfügigen Beschäftigungen für 400 Euro. Ein bedenklicher Trend.
München - Ende April ist es wieder so weit: Die Bundesagentur für Arbeit verkündet ihre Arbeitslosenzahlen. Nach Ansicht von Experten könnten sie erstmals bei unter drei Millionen liegen. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen wird dann Jubel-Statements abgeben, alle sind zufrieden – doch von Jobwunder kann keine Rede sein. Denn bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Immer mehr Menschen in Deutschland arbeiten als Minijobber.
Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hatten Ende September 2010 mehr als 7,3 Millionen Menschen in Deutschland einen solchen 400-Euro-Job. Das sind fast 1,6 Millionen mehr als 2003. Inzwischen ist jedes vierte Beschäftigungsverhältnis in Deutschland ein Minijob. Von den 7,3 Millionen Menschen verdienen sich mehr als zwei Millionen mit einer festen Stelle im Minijob noch etwas dazu. Schon das ist alarmierend: Offenbar reicht diesen Menschen der normale Job alleine nicht zum Leben. Und der größere Teil, immerhin fünf Millionen Menschen, haben nur den Minijob. Besonders weit verbreitet sind die Minijobs laut Statistik vor allem im Groß- und Einzelhandel und im Gesundheitsund Sozialwesen. Die stärksten Zuwächse gab es im vergangenen Jahr in der Zeitarbeit. Auch das Gastronomieund Hotelgewerbe beschäftigt extrem viele Minijobber – fast jeder zweite Arbeitsplatz in Hotels oder Gaststätten ist inzwischen ein Minijob.
„Wir haben in der Arbeitswelt eine Zwei-Klassen-Gesellschaft“, sagt Hans Hartl, bayerischer Landesbezirkschef der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). Auf der einen Seite die Festangestellten, auf der anderen Seite die mit prekären Jobs. Die Regeln für Minijobs sind 2003 gelockert worden. Damals hatte die rot-grüne Bundesregierung festgelegt, dass die Einnahmen aus nebenberuflich ausgeübten Minijobs nicht zusammen mit dem Haupteinkommen versteuert werden müssen. Gedacht waren die Minijobs auch als Einstiegshilfe in feste Beschäftigungen. Doch: „Das bringt gar nix“, sagt Hartl. „Fast nie wird aus einem Minijob ein fester Job. Im Gegenteil: Die Minijobs haben sich zu einem System verfestigt.“
Mit einer Hire-and-Fire-Kultur ähnlich wie in Amerika. Arbeitsforscherin Claudia Weinkopf vom Institut für Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen hat außerdem herausgefunden, dass Minijobber nicht nur wenig verdienen – sondern auch sonst benachteiligt werden. Vielen werden nicht dieselben Arbeitnehmerrechte zugestanden wie Normalbeschäftigten. Dabei gibt es die Lohnfortzahlung im Krankenfall oder den bezahlten Urlaub auch für Minijobber – doch die meisten Firmen halten sich nicht daran. Das kann auch Gewerkschafter Hartl bestätigen: „Und aus Angst vor dem Jobverlust klagen die Mitarbeiter ihre Rechte auch nicht ein.“
Die Minijobs hätten noch weitere Folgen, warnt Hartl: „Was glauben Sie, warum heute jedes fünfte Kind in Armut lebt? Weil Alleinerziehende oft nur Minijobs bekommen.“ Außerdem könnten diese Frauen nur sehr geringe Rentenansprüche anhäufen, von privater Vorsorge ganz zu schweigen: „Die Altersarmut ist damit vorprogrammiert“, sagt Hartl.