Mythos vom Mythos
Kleinkunst ist ok – wenn sie weder Lärm noch Schmutz hinterlässt: Katharina Rieger,Vize-Lokalchefin der AZ, über Schwabinger Legenden.
In grauer Vorzeit muss Schwabing eine andere Welt gewesen sein: Wo die Gisela mit anzüglichen Liedern Skandale provozierte. Wo Uschi Obermeier in der Disco mit Mick Jagger anbandelte. Und wo 1962 junge Leute auf den Straßen tagelang Krawall machten – und damit, wenn es nach Schwabinger Alt-68ern geht – die Studentenrevolte von San Francisco bis Berlin erst ausgelöst haben.
Allerdings: Von diesem weltberühmten Schwabing ist seit Jahrzehnten im Grunde nichts mehr übrig.
Das Viertel um Occam-, Feilitzsch-, Haimhauserund Siegesstraße ist spätestens seit den 80er Jahren eine etwas ranzige Pilspub-Falle. Natürlich gibt es dort echte Originale wie die Lach- und Schieß oder das Drugstore, die sich wacker behaupten. Oder neue Lokale wie das Vereinsheim, die die Kleinkunstkultur hochhalten.
Doch so wie die Leopoldstraße die längste Coffeeshop- Theke der Welt ist, bieten die Feilitzschhöfe mit ihren hochpreisigen Eigentumswohnungen einen Ausblick auf die Zukunft des sagenumwobenen Viertels: luxuriösesWohnen für den extragroßen Geldbeutel.
Kleinkunst, so sie weder Lärm noch Schmutz verursacht, ist als Schwabing-Folklore durchaus erwünscht: So lässt sich der Flair-Aufschlag beim Quadratmeterpreis gut rechtfertigen.
Doch das Schwabing von Uschi, Mick und Gisela hat es so, wie es der Mythos will, wohl auch gar nicht gegeben. Denn dieser Mythos ist schon wieder ein Mythos. Aber besser viele gute Geschichten als gar nichts zu erzählen.