Mega-Demo für zweites Brexit-Referendum

Knapp eine dreiviertel Million Briten protestiert auf Londons Straßen gegen den EU-Ausstieg. Die Forderung: eine erneute Volksbefragung.
Das Motto, unter dem dieser Marsch stattfand, war so derb wie deutlich: "Bollocks to Brexit", in etwa: Scheiß auf Brexit, hörte man am Samstagnachmittag in London allenthalben in Sprechchören oder las es auf Stickern. Aus allen vier Ecken des Königreichs waren Menschenmassen in die Hauptstadt geströmt, um eine "People’s Vote", eine erneute Volksabstimmung, über den EU-Austritt zu fordern.
Der Marsch zum Parlament wurde zur größten Protestaktion, die Großbritannien seit den Demonstrationen gegen den Irak-Krieg 2003 erlebte. Die Veranstalter hatten mit lediglich 100 000 Teilnehmern gerechnet. Es kamen rund 700 000.
Angst vor einem Chaos-Brexit, Wut über die Unfähigkeit der Regierung, Liebe zu Europa
Es war eine breite Gemengelage von Gründen, die so viele Briten motiviert hatten, nach London zu reisen, selbst aus so abgelegenen Orten wie den über 1000 Kilometer entfernten Orkney-Inseln.
Viele Demonstranten marschierten mit, die im Referendum vor zwei Jahren noch zu jung waren, um wählen zu können. Wie zum Beispiel die 20-jährige Emily Longman, die zur Zeit Spanisch studiert und im nächsten Jahr eigentlich zu einer Universität auf dem Kontinent wechseln will. "Aber keiner weiß", sagt sie, "was mit dem Erasmus-Förderprogramm passieren wird." Auch der 16-jährige Leo Buckley aus der Grafschaft Hampshire hat Angst: "Junge Leute werden am meisten verlieren. Ich werde ärmer sein und nicht die gleichen Karrierechancen haben."
Londons Bürgermeister führte den Marsch an
Der Bürgermeister von London, Zadiq Khan, führte den Marsch an und gehörte zu den Rednern auf dem Platz vor dem Parlament. "Jetzt meint, selbst die Premierministerin", sagte er, "dass wir entweder einen schlechten Deal oder gar keinen Deal bekommen werden. Das britische Volk muss eine Mitsprache über den Ausgang der Verhandlungen haben." Die Entscheidung über eine erneute "People’s Vote" wird jedoch nicht auf der Straße, sondern im Parlament gefällt – und auch nur, wenn sich die Lage dramatisch zuspitzt, also Premierministerin Theresa May entweder keinen Deal verhandeln kann oder vom Parlament keine Zustimmung für ein Austrittsabkommen bekommt. Das dürfte noch vor Weihnachten eintreten.
Die Opposition wird versuchen, eine Regierungskrise herbeizuführen, indem sie mit der Hilfe von rebellischen Konservativen den Brexit-Deal im Unterhaus ablehnt. Sollte May dann Neuwahlen verweigern, will Labour eine Kampagne für ein zweites Referendum starten und würde einen diesbezüglichen Gesetzeszusatz im Parlament einbringen, den man mit Hilfe von rebellischen Konservativen wohl durchsetzen könnte.