Mangelnder Respekt
Mit gesunder sportlicher Betätigung hat das nichts mehr zu tun. Volker Isfort über die vermeidbare Tragödie am Zugspitz-Gipfel.
Der Bote Pheidippides starb bekannterweise an Erschöpfung, als er der Legende nach vor 2500 Jahren die Kunde des Sieges vom Schlachtfeld ins über 40 Kilometer entfernte Athen brachte. Wie müsste man die Geschichte heute erfinden? Er starb erschöpft nach einem Quintuple Ultratriathlon (19 Kilometer Schwimmen, 900 Kilometer Radfahren, 211 Kilometer Laufen)? Auch den gibt es längst, der Weltrekord liegt bei unter 74 Stunden.
In den letzten Jahrzehnten, so scheint es, hat sich der menschliche Körper über alle Grenzen hinweggesetzt – der Ehrgeiz ambitionierter Hobbysportler ist dabei ins Unermessliche gewachsen.
Doch mit gesunder, sportlicher Betätigung hat die Fixierung auf das Extreme nichts mehr zu tun.
Der Zugspitzlauf vom Sonntag mündete in eine menschliche Tragödie und eine vorhersehbare Katastrophe. 644 Extremsportler haben ihren Körper und ihre Willenskraft in Bereiche getrieben, die ihnen die Sicht auf die einfachsten Bergregeln vernebelte. Ohne die geringste Ausrüstung hat man im Hochgebirge nichts zu suchen – egal, in welchem Trainingszustand. Minusgrade auf knapp 3000 Metern sind schließlich eher die Regel als die Ausnahme.
Die Weltflucht der Adrenalinjunkies offenbart somit auch Respektlosigkeit: gegenüber der Natur, dem eigenen Leben und dem Leben der anderen, die im Unglücksfall rettend eingreifen müssen. Schuld an dieser Katastrophe sind der Ich-fixierte Individualist – und eine Gesellschaft, die das Extreme als neues Ideal verklärt.
Der Autor ist Redakteure der Abendzeitung
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