Magengrippe 32,18 Euro: Hausärzte proben den Aufstand

Alarm für das bayerische Gesundheitssystem: Was passiert, wenn die Hausärzte wie angedroht ihre Kassenzulassung zurückgeben? Die AZ erklärt Hintergründe und Folgen für den Patienten.
von  Abendzeitung
Wenn die Hausärzte am Mittwoch tatsächlich ihre Kassenzulassungen zurückgeben, müssen die Patienten bei ihren Behandlungen möglicherweise dazuzahlen.
Wenn die Hausärzte am Mittwoch tatsächlich ihre Kassenzulassungen zurückgeben, müssen die Patienten bei ihren Behandlungen möglicherweise dazuzahlen. © dpa

Alarm für das bayerische Gesundheitssystem: Was passiert, wenn die Hausärzte wie angedroht ihre Kassenzulassung zurückgeben? Die AZ erklärt Hintergründe und Folgen für den Patienten.

Bayerns Gesundheitssystem vor dem Kollaps? Nach der AOK haben nun auch die Ersatzkassen den Hausarztvertrag fristlos gekündigt. Morgen treffen sich die Hausärzte in Nürnberg. Sie drohen, ihre Kassenzulassungen zurückzugeben. Damit protestieren sie gegen die Abschaffung der Hausarztverträge, die ihnen ein erhebliche Zusatzeinnahmen garantieren. Was bedeutete das für die Patienten? Die AZ klärt die wichtigsten Fragen.

Worüber geht der Streit? Weil die Hausärzte mit dem Ausstieg aus dem System drohen, hat die AOK ihnen die Verträge gekündigt. Gestern zogen auch die bayerischen Ersatzkassen nach. Zusammen mit der AOK betreuen sie 70 Prozent der Versicherten. „Die Funktionäre des Hausärzteverbandes lassen von ihrem gefährlichen Tun nicht ab und wollen ihr leichtfertiges Spiel mit der Existenz tausender Hausarztpraxen nicht beenden“, kritisierte der bayerische VDEK-Chef, Ralf Langejürgen.

Was Patienten wissen sollten:

Was wollen die Ärzte? Sie wollen nicht mehr über die Kassenärztlichen Vereinigungen, sondern über die Krankenkassen direkt abrechnen. Und sie wollen die Hausarztverträge behalten: Darin fungiert der Hausarzt als erster Ansprechpartner für den Patienten und überweist ihn gegebenenfalls an einen Facharzt. Dafür sparen sich die Patienten einen Teil der Praxisgebühr, und die Hausärzte bekommen mehr Geld: einen Fallwert von 76 Euro pro Patient und Quartal.

Was sagen die Kassen? Sie wollen es lassen, wie’s ist: „Wir dürfen und werden außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenkassen keine neuen Verträge schließen“, so die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Kassenverbände, Sigrid König. Hausärzte-Chef Wolfgang Hoppenthaller dagegen sagt, die Kassen hätten gar keine andere Wahl – wenn sie die Versorgung nicht gefährden wollten.

Welche Folgen hat das? Gekündigt sind vorerst nur die Hausarztverträge. Aber im Kassensystem sind die Ärzte selbstverständlich weiter und behandeln auf Chipkarte wie eh und je. Anders ist es, wenn die Ärzte ernstmachen und ihre Zulassungen zurückgeben. Laut Hoppenthaller soll das zum 1. Juli wirksam werden. Er drohe ein „Versorgungschaos“. Ohne das Honorar der Kassen müssten die Ärzte ihre Praxen schließen. Die AOK lassen diese Drohungen kalt: Es genügend andere Mediziner, die gerne die Patienten von Aussteigern übernehmen würden, sagt Vorstandschef Helmut Platzer. Variante drei: Die Ärzte behandeln nur noch auf Rechnung – so wie bei Privatversicherten.

Was würde das kosten? Das Vergütungssystem für Ärzte ist eine Wissenschaft für sich. Grob vereinfacht bekommt ein Arzt eine bestimmtes Budget pro Quartal, das sich unter anderem an seinen bisherigen Werten orientiert. Bleibt er unter dieser Obergrenze, bekommt er die Leistungen voll erstattet. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern hat mal eine Rechnung für einen Dr. Muster aufgestellt. Er bekommt für das Quartal 3/2010 pauschal ein Budget von 41,34 Euro pro Patient: Holt einer nur ein Rezept ab, schöpft der Arzt das Budget nicht aus; ist eine aufwändige Behandlung nötig, überschreitet er die Grenze. In der Summe geht die Mischkalkulation auf – sagt jedenfalls die KVB.

Was heißt das für einzelne Krankheiten? Bleibt Dr. Muster unter seiner Gesamtobergrenze, kann er für folgende Beispiele also berechnen:

Patient A holt ein Wiederholungsrezept und/oder eine Überweisung ab: 2,91 Euro.

Patient B kommt zu einem Gespräch zur Abklärung einer Erklärung (mit Verordnung): 35,52 Euro.

Patient C hat einen verspannten Nacken und wird eingerenkt: 39,53 Euro

Patient D will Beschwerden abklären, der Arzt führt eine Abdomen-Sonographie durch: 48,12 Euro

Patient E kommt in die Sprechstunde wegen Spannungskopfschmerz und seelischer Probleme: 47,59 Euro.

Muss ich dann so etwas selbst zahlen? Bisher ist noch völlig unklar, was wird – und denkbar ist trotz aller Drohszenarien auch, dass sich Ärzte und Kassen bis Juli 2010 einigen. Wenn nicht, „dann wird es spannend“, wie die Ärzte künftig abrechnen wollen, heißt es bei den Kassen. Einfach weiter die bisherigen, oben aufgelisteten Kassensätze zu verlangen, ist rechtlich eigentlich nicht möglich, so die Kassenärztliche Bundesvereinigung: „Denn die Ärzte haben ihre Kassenzulassung ja zurückgegeben und sind damit nicht mehr Teil des Systems“, so ihr Sprecher Roland Stahl zur AZ. Theoretisch müssten sie Patienten dann wie Privatversicherte abrechnen: also mit Rechnung. Die KBV empfiehlt dringend (falls das so kommt), vorher die eigene Kasse zu befragten, ob in und in welcher Höhe sie die Kosten übernimmt. Denn bei Privatversicherten sind die Behandlungskosten in der Regel nach verschiedenen Studien gut doppelt so hoch.

Wie teuer wäre eine Privatabrechnung? Die größte deutsche Privatkasse, die Debeka, hat für die AZ Beispielrechnungen zusammengestellt:

Erkältung 21,44 Euro

Blutwerte-Check 14,75 Euro

Magen-Darm-Grippe: 32,18 Euro

verstauchtes Handgelenk 44,52 Euro (inklusive Röntgenbild).

Was kommt also? Die Hausärzte haben eine Kassenzulassung schon mal angedroht und wieder abgeblasen. Diesmal sind die Fronten härter.

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