Lesen, arbeiten, surfen: Was das Ding kann

Der AZ-Tester schreibt über Vor- und Nachteile des neuen Gerätes – natürlich auf dem iPad!
von  Abendzeitung
"Das Internet in den Händen": Richard Gutjahr surft auf seinem neuen Gerät auf abendzeitung.de
"Das Internet in den Händen": Richard Gutjahr surft auf seinem neuen Gerät auf abendzeitung.de © Miri Wilf

Der AZ-Tester schreibt über Vor- und Nachteile des neuen Gerätes – natürlich auf dem iPad!

Das Hauptmenü

Sobald das iPad einmal mit dem Computer verbunden wurde, ist das Gerät aktiviert. Der Akku ist bereits aufgeladen, man kann also sofort loslegen. Sich auf dem iPad zurechtzufinden, ist ein Kinderspiel. Die einzigen physischen Knöpfe sind: An/Aus, Rotationssperre, Laut/Leise, Homescreen. Das ist alles. Alle Programme und Anwendungen (Applikationen oder Apps) verbergen sich hinter bunten Knöpfen, sogenannten ,icons’. Apple hat allein für iPhone und iPod touch über 140000 Apps im Angebot. Zwei Drittel davon sind kostenlos. Alle diese Apps laufen auch auf dem iPad, wirken aber verloren auf dem vergleichsweise riesigen Bildschirm. Bereits zum Start des iPads in den USA haben viele Softwareschmieden einige ihrer Apps an das iPad angepasst.

Wie surft es sich mit dem iPad ?

„Das Internet in den Händen“ versprach der Apple-Chef bei der iPad-Präsentation Ende Januar. Und in der Tat: Selbst komplexe Webseiten, Texte und Fotos wirken auf dem iPad übersichtlich und brillant. War Surfen auf dem iPhone noch Röhrenfernsehen, so ist Internet auf dem iPad großes Kino. Ganze Seiten haben auf dem Display Platz, durch einfaches Doppel-Tippen zoomt das Display auf die gewünschte Textspalte oder das Foto und justiert sofort die Schärfe nach. Mit einer gewaltigen Einschränkung: genau wie beim iPhone kann auch das iPad keine Flash-Elemente anzeigen. Da die meisten Webseiten mit Flash-Grafiken oder -Videos arbeiten, erinnert so manche Webseite auf dem iPad an Schweizer Käse: ganze Bereiche der Seite fehlen.

Kann man damit Bücher lesen?

Ja. Als Steve Jobs vor drei Jahren gefragt wurde, was er denn von Amazons eBook-Reader Kindle halte, antwortete der Apple-Boss: das sei ja alles schön und gut – das Problem sei nur: die Leute lesen nicht mehr. Eine Aussage, die er heute so sicher nicht mehr machen würde. Bei mehr als der Hälfte aller Downloads für das iPhone handelt es sich um Bücher. Ein Fakt, dem Apple nun Rechnung trägt. Mit dem kostenlosen App ,iBooks’ holt man sich den Apple-Buchladen auf den Bildschirm. Dort kann man Tausende Bücher für rund 10 US-Dollar herunterladen. Aktuelle Bestseller sind teurer. Auch in Deutschland soll 2010 noch ein deutschsprachiger iBook-Store eröffnen, das Datum steht aber noch nicht fest.

Kann man Fernsehen?

Nein, zumindest nicht das laufende Programm. Apple hat sich im Fernsehgeschäft bisher nur die Finger verbrannt. Mit seiner TV-Box ,Apple-TV’ hat der Computerbauer einen echten Ladenhüter produziert. Das Problem lag nicht allein am Gerät selbst, sondern auch an den Senderfamilien, die ihre Serien und TV-Movies nicht dem Preisdiktat von Apple unterwerfen wollten. Daher kommt es, dass man über iTunes für das iPad zwar auch Fernsehsendungen kaufen kann. Viele wichtige Produktionen fehlen aber. Laufende Fernsehstaffeln werden oft mit einer Verzögerung von bis zu einem Jahr angeboten. Die Preise von 2 US-Dollar pro Serienfolge bzw. 3 US-Dollar für dasselbe Angebot in HD-Qualität hat die US-Amerikaner nicht überzeugt. Auch in Deutschland läuft das Geschäft mit Fernsehsendungen über iTunes nur schleppend.

Wie wirken Kinofilme?

Großartig. Niemand will sich ,Titanic’ auf seinem Handy im ,Hanuta-Format’ anschauen, hatte mal der frühere ProSieben-Chef Georg Kofler auf den Münchner Medientagen gescherzt. Auf dem iPad würden sie das schon. Das Bild ist, wenn auch nicht in HD, gestochen scharf, die Farbbrillanz ist überzeugend, sogar der Ton über den eingebauten Lautsprecher ist okay. Es gibt aber auch Kinderkrankheiten: der Bildschirm spiegelt heftig, ein Problem, das viele MacBook-Nutzer bereits kennen. Erst nach heftigen Protesten bietet Apple heute auch entspiegelte MacBooks an. Gegen Aufpreis, versteht sich. Außerdem: Filme gehören zu den größten Speicherfressern überhaupt. Das billigste iPad-Modell zu 499 US-Dollar (die deutschen Preise stehen noch nicht fest) bietet 16 Gigabite Speicher. Mit nur 3-4 Filmen auf dem iPad wird es da plötzlich ganz schnell eng.

Ist das iPad eine Spielkonsole?

Absolut. Ohne dass es in der Öffentlichkeit groß aufgefallen wäre; mit seinem iPod touch hat Apple dem Spielehersteller Nintendo still und heimlich das Wasser abgegraben. Inzwischen programmieren viele Entwickler lieber gleich für Apple, weil die Spiele auf dem iPhone und dem iPod touch mehr Umsatz versprechen. Noch ist die Auswahl an Spielen, die exklusiv für das iPad geschrieben wurden, noch überschaubar. Man braucht aber nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass der große Touchscreen schon bald sogar die gute alte Spielesammlung von Mensch-Ärgere-Dich-Nicht bis Monopoly ablösen wird.

Kann man damit gut arbeiten?

Nein. Für den Text habe ich bis hierher fast doppelt solange gebraucht, als wenn ich ihn mit einer normalen Tastatur geschrieben hätte. Außerdem tun mir die Augen weh. Längere Texte werde ich auf dem iPad sicher nicht verfassen. Zum Checken von E-Mails und für kurze Antworten jedoch reicht das Gerät allemal. Und weil mir diese Frage schon häufig über Twitter gestellt wurde: nein, das Gerät liegt trotz seiner Wölbung gerade auf dem Tisch. Auch beim Tippen kippt und wackelt nichts. Dennoch macht das längere Arbeiten auf dem Touchscreen einfach keinen Spaß.

Wie gut ist der Akku?

Der Akku soll voll aufgeladen angeblich 10 Stunden halten. Nun wissen wir ja alle, was von solchen Herstellerangaben zu halten ist: nämlich gar nichts. Doch hier die Überraschung: Alle großen Technik-Blogger berichten, dass ihr Akku bei größter Belastung (= Video) sogar 11 bis 12 Stunden durchhielt. Wenn das stimmt, wäre das fast eine kleine Sensation, denn bisher war Apple nur selten durch Understatement aufgefallen. Interessanter Aspekt noch am Rande: Der Akku kann nicht herausgenommen werden. Mehr noch, sollte er seinen Geist aufgeben, wird er von Apple gar nicht ersetzt. Gegen 99 Dollar erhält man stattdessen ein nigel-nagelneues Gerät. Das iPad ist damit quasi ein Wegwerf-Produkt.

Erstes Fazit:

Nach meinen ersten 24 Stunden mit dem iPad bin ich mit dem Gerät sehr zufrieden. Zu meinen persönlichen Highlights gehört der große, übersichtliche Kalender und die Navigationsfunktion über Google Maps. Negativ aufgefallen ist mir der spiegelnde Bildschirm, der nach nur wenigen Minuten Benutzung aussieht, als habe man ihm einem Fünfjährigen zum Spielen gegeben: Fingertapser wohin das Auge reicht. Soviel ist sicher: sollte das iPad ein Erfolg werden, wird das Jahr 2010 zum Jahr der Waschlappen. Was mir noch aufgefallen ist: das Ding ist schwer! Wenn man es nur 10 Minuten in der Hand gehalten hat, fangen die Arme an zu schmerzen. Das haben auch andere iPad-Besitzer im Netz schon diskutiert.

Tipp:

Wer es noch aushalten kann: Abwarten. Es ist wahrscheinlich, dass Apple noch vor Weihnachten bereits die zweite Generation des iPads herausbringen wird. Dann eventuell auch mit der noch vermissten eingebauten Kamera. Zum Kennenlernen habe ich mich daher für die günstigste Ausführung entschieden. Sollte mich das Gerät überzeugen, es einen festen Platz in meinem Alltag finden, werde ich es bei der nächsten Auflage durch die mächtigere UMTS-Variante mit 64 GB austauschen.

Richard Gutjahr

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