Lebensversicherung: Gesetz vor dem Aus
Die Lebensversicherer wollten ihren Kunden weniger Geld auszahlen. Heute wird dieses Vorhaben im Vermittlungsausschuss gekippt. Das Gesetz dazu hat Schwarz-Gelb von der Wirtschaft abgeschrieben
Berlin - Dienstag ist ein guter Tag für deutsche Versicherungskunden. Denn heute tagt der Vermittlungsausschuss aus Bundestag und Bundesrat, um eine umstrittene Gesetzesänderung zum Thema Lebensversicherungen auf den Sankt Nimmerleinstag zu vertagen.
Damit ist klar: Schwarz-Gelb lässt die Finger von den sogenannten Bewertungsreserven. Es geht um 37 Milliarden Euro, die bis 2025 verfassungsrechtlich den Versicherungskunden zustehen, die die Regierungsparteien aber den Unternehmen zuschanzen wollten. Wie dreist sich die Abgeordneten dabei von der Versicherungslobby beeinflussen ließen, belegen jetzt Dokumente (s. unten).
Das nun gescheiterte Gesetzesverfahren ist ein Stück aus dem parlamentarischen Tollhaus: Im Finanzausschuss des Bundestages wird im Oktober 2012 eine Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes eingebracht: Lebensversicherungskunden sollen künftig nicht mehr in vorgesehener Höhe an den Reserven aus festverzinslichen Papieren wie zum Beispiel Staatsanleihen beteiligt werden. Das würde Versicherungskunden bei Auszahlung bis zu 10.000 Euro kosten.
Bundestagsausschuss gegen Verfassungsgericht
Dabei hatte das Verfassungsgericht 2005 eine solche Beteiligung vorgeschrieben. Das passt den Versicherern aber nicht. Über den Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GdV) versuchen sie, Einfluss auf das Gesetzesverfahren auszuüben. Ihr Hauptargument: Wenn wir das Geld nicht behalten, könnten einzelne Unternehmen in Schwierigkeiten geraten.
Der GdV hatte zuvor schon, wie im Gesetzgebungsverfahren üblich, eine Stellungnahme verfasst – „zum Referentenentwurf des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes“. Unter Punkt 1 „Kernanliegen“ steht in dem Papier vom 20. September 2011 ein fertig formulierter Gesetzestext (siehe „Lobby-Entwurf“). Dieser wird sich später fast wortgleich im Gesetzesentwurf von Union und FDP vom 7. November 2012 wiederfinden (siehe „Gesetzes-Entwurf“). Die beiden Texte dokumentiert „Öko-Test“ in seiner aktuellen Ausgabe – die Finanz-Expertin des Magazins, Barbara Sternberger-Frey, hatte während des Gesetzgebungsverfahren als Sachverständige vor dem Entwurf gewarnt.
Im Bundestag stimmte Schwarz-Gelb dafür
Die Abgeordneten der Regierungskoalition ignorierten das Problem – oder übersahen es. Denn die Neuregelung zum Thema Lebensversicherungen wurde im Bundestag einfach an ein anderes Gesetz – das zur Neuregelung des europäischen Zahlungsverkehrs – angehängt. Prompt wurde es mit den Stimmen von Union und FDP im November beschlossen.
Erst als die CDU-Basis gegen das Gesetz, das zum 1. Januar in Kraft treten sollte, mobil macht, schwant der Union im Dezember Böses: „Das führt bei einigen Versicherten zu einer Minderung von zehn Prozent. Das hat uns keiner gesagt“, sagte ein Unions-Oberer. Ein anderer Koalitionspolitiker hat durchaus einen Schuldigen ausgemacht: „Wenn mir künftig ein GdV-Lobbyist die Hand schüttelt, zähle ich anschließend meine Finger“, sagte er dem „Spiegel“.
Finanzminister Schäuble versuchte, das bereits verabschiedete Gesetz im Bundesrat noch zu korrigieren. Aber die Ländervertretung schaltet auf stur und ruft den Vermittlungsausschuss an. Dort liegt es jetzt – und bekommt heute wohl in aller Stille ein Begräbnis dritter Klasse.
Aktuell hat kein Unternehmen ein Problem
Oder wie Unions-Fraktionsvize Michael Meister es formuliert: Eine Lösung noch in dieser Wahlperiode sei nicht zu erwarten. Es werde nun vorgeschlagen, die unstrittigen Teile des Gesetzespaket herauszulösen. Dabei geht es um die Regelungen für Überweisungen in Europa und die sogenannten Unisex-Tarife bei Versicherungen. Mit den Regelungen für Lebensversicherungen muss sich dann eine nächste Bundesregierung befassen.
Erleichterungen für Lebensversicherer sollen laut Meister „getrennt geprüft“ werden. Diese Prüfung soll breiter angelegt werden und nicht nur die Bewertungsreserven betreffen. „Wir wollen wissen, was für eine nachhaltige Stabilisierung des Sektors nötig ist“, sagt der CDU-Politiker. Dringender Handlungsbedarf bestehe nicht, es gebe aktuell kein Unternehmen, das Probleme habe.
LOBBYENTWURF:
Diese Stellungnahme des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft wurde am 20. September 2011 verfasst. Ihr selbst formuliertes Ziel: „Die Risikotragfähigkeit deutscher Lebensversicherer soll gestärkt werden.“
GESETZESENTWURF:
Das ist der Gesetzesentwurf, den der Finanzausschuss am 17. November 2012 mit schwarz-gelber Mehrheit dem Bundestag zur Beschlussfassung weitergeleitet hat. Bis auf die Nummerierung ist der Text weitgehend identisch mit dem Lobbyisten-Entwurf.