Lebensgefühl Handy
"Ohne Handy? Haben sich die Menschen sicher immer verpasst." Die AZ-Reporterin Laura Kaufmann über das Lebenselixier Mobiltelefon.
Es ist der erste Gegenstand, nach dem ich morgens taste. Irgendwo im Deckengewühl fordert ein kleines Elektroding piepsend meine Aufmerksamkeit. Ist die Weckfunktion aus, überprüfe ich das Display. Hab’ ich was verpasst heute Nacht? Anrufe? Trunkenes Liebesgeflüster im SMS-Eingang?
97 Prozent der 14- bis 29-Jährigen können sich ein Leben ohne Handy nicht vorstellen. Ich auch nicht. Geld, Schlüssel, Handy: Ohne diese drei verlasse ich die Wohnung nicht. Nur verschwommen erinnere ich mich an die Zeiten, in denen gelbe, verrauchte Telefonhäuschen eine Rolle spielten. Früher ging es angeblich ohne Handy – nur wie? Schrecklich unspontan muss das gewesen sein. Zeitpunkte, Treffpunkte, alles fest ausgemacht – und wenn etwas dazwischen kam? Eine U-Bahn-Störung – schon ist das Date versetzt. Sicher waren ständig alle beleidigt. Haben sich immer verpasst, und ganze Lebensjahre wartend in Cafés vertrödelt. Ein Wunder, dass die Leute überhaupt noch miteinander geredet haben. Und reden mussten sie: Die segensreiche SMS gab es ja nicht.
Ich schicke ständig SMS. Und bekomme gern welche. Anrufer wollen sofort Auskünfte und Zusagen oder endlos quatschen. Wie ein Überfall, so ein Anruf. Bei einer SMS kann ich überlegen, ob ich sie beantworte oder ignoriere. Mein Handy verbindet mich auf sehr flexible Art mit meiner Umwelt. Ohne fühle ich mich nackt und isoliert. Nur in einigen wenigen Nächten habe ich mir gewünscht, ich hätte es daheim vergessen – wenn ich selbst (wie) im Rausch Liebesgeständnisse verschickt habe.
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