Kunden werden zu Online-Werbeträger: Der getäuschte Nutzer

Immer mehr Unternehmen sparen sich die hohen Ausgaben für Fernsehspots. Statt dessen spannen sie äußerst effektiv ihre Kunden als Online- Werbeträger ein, ohne dass die es merken.
von  Abendzeitung
Schneemann-Demo: Erst auf den zweiten Blick gab sich diese Aktion in Berlin als Werbung für einen Stromversorger zu erkennen
Schneemann-Demo: Erst auf den zweiten Blick gab sich diese Aktion in Berlin als Werbung für einen Stromversorger zu erkennen © dpa

LOS ANGELES - Immer mehr Unternehmen sparen sich die hohen Ausgaben für Fernsehspots. Statt dessen spannen sie äußerst effektiv ihre Kunden als Online- Werbeträger ein, ohne dass die es merken.

Facebook statt Fußball-TV: Am Sonntag läuft der Super Bowl, das Finale der Profiliga im American Football. Ein Fest für Fans, aber für die Werbeabteilungen vieler Konzerne ist der Event nicht mehr interessant. Nach General Motors und FedEx steigt jetzt auch Pepsi aus. Statt teurer Fernsehspots setzt Pepsi mehr auf Werbung im Internet. Über soziale Netzwerke wie Facebook kommt der Konzern viel besser an Kunden heran, glauben seine Manager.

Werbung im Internet ist preisgünstig, und sie hat einen unschätzbaren Vorteil: Der Verbraucher erkennt sie meist nicht auf den ersten Blick als Reklame. Statt die Ohren wie bei herkömmlichen Spots auf Durchzug zu stellen, schickt er gut gemachte Internet-Werbung oft per Mausclick an seine Freunde weiter – und lässt sich dadurch als höchst glaubwürdiger Werbeträger einspannen.

Zum Beispiel die vielen lustigen Bilder, die Mitte Januar im Internet kursierten und von einer „Schneemann-Demo“ auf dem Berliner Schlossplatz berichteten. Jung und alt waren aufgerufen, Schneemänner zu bauen; improvisiert wirkende Plakate auf Pappendeckel taten politisch Korrektes zum Klimawandel kund, und nur nebenbei ließen die Veranstalter erkennen, wer für das Spektakel verantwortlich war: der Stromanbieter Entega.

Oder die Tiefkühl-Werbefigur „Peter von Frosta“: In normalen TV-Spots bereitet er dauerlächelnd Tiefkühlkost zu, auf der Internet-Plattform Youtube reißt er sich in der Fernsehküche die Kleider vom Leib, brüllt „Der Fisch ist so frisch, wie ich geil bin“ und macht sich über eine Kundin her. Fast 300000 Mal wurde das Video bisher angeklickt, jeder Nutzer vernahm zum Ende das freundlich gesäuselte „Frosta ist für alle da“. Ähnlich erfolgreich: Die „Jägermeister“-Aktivitäten im Internet, unter anderem beim Studenten-Netzwerk StudiVZ. Dort zählt der Hersteller über 100000 Fans.

Richtig raffiniert wird Internet-Werbung allerdings, wenn sie als unabhängige Verbrauchermeinung daherkommt. Agenturen, die gezielt Menschen anwerben, damit sie freundliche Berichte über Firmen oder Produkte verfassen, haben Konjunktur. Ähnlich einem Virus, der sich durch Mundpropaganda verbreitet, sollen die Werbebotschaften Konsumenten-Seelen infizieren, daher der Fachausdruck „Virales Marketing“.

Im besten Fall berichten die anonymen Werbeträger dabei nach bestem Wissen und Gewissen auf allerlei Verbraucherportalen über Produkte oder Dienstleistungen, die sie testen durften – sei es innovative Zahnpasta, schöne Familienhotels in den Alpen oder die Vorzüge der neuesten Bohrhammer-Generation. Die Münchner Agentur TRND vermittelt Firmen solche freiwilligen Tester.

Im schlimmeren Fall verbreiten Agenturen übers Internet getarnt als Beiträge unbedarfter Nutzer Lobhudeleien auf bestimmte Produkte. Bewertungsportale wie Qype verbreiten eine Aura der Verbraucherfreundlichkeit. Allein in Deutschland klicken sechs Millionen Menschen pro Monat auf Qype, lesen Bewertungen oder verfassen Erfahrungsberichte. Missbrauche jemand das Bewertungsportal für Werbezwecke, merke das die „Community“, das Kollektiv der Nutzer, schnell, heißt es bei Qype.

Der Medienforscher Christian Roth ist da skeptisch: „Im Netz fehlt weithin eine Sensibilität für das Thema Schwindel-Marketing“, sagt er. Wie leicht sich Falschinformationen übers Netz verbreiten lassen, zeigte sich 2007, als die Bahn 1,3 Millionen Euro für manipulierte Bericht im Internet und Radio ausgab. Zu einem ernüchternden Ergebnis kam vor kurzem die Stiftung Warentest. Die Tester platzierten auf Bewertungsportalen unsinnige und falsche Angaben – Fazit: Die meisten „veröffentlichten zumindest einen Teil unseres Schwindels“. sun

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