Kirchhof und die Rückkehr des Bierdeckels

Paul Kirchhof, 2005 Merkels der Schattenfinanzminister, hat sein radikales Steuerkonzept präsentiert. Die AZ erklärt, wie es funktionieren soll
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Paul Kirchhof ist zurück. 2005 hat er als Schattenfinanzminister von Bundeskanzlerin Angela Merkel schon einmal sein radikales Steuerkonzept präsentiert, jetzt nimmt er einen neuen Anlauf. Die AZ erklärt, wie es funktionieren soll

Was ist das für ein Konzept? Der Professor aus Heidelberg hat sich die Vereinfachung des Steuersystems quasi als Lebenswerk erkoren. Sein Konzept ist in weiten Strecken das von 2005. In Teilen ist es radikaler geworden, etwa, weil es die Gewerbesteuer auch noch streicht – statt dessen sollen Kommunen eigene Steuerzuschläge erheben. An anderen Stellen komplizierter: Damals wollte er das Steuerrecht von 33000 auf 23 Paragrafen zusammenstreichen („Bierdeckel”), jetzt auf 146.

Was steht drin? Es soll nur noch vier statt 32 Steuerarten geben: auf Einkommen, Umsatz, Erbschaft und Verbrauch. Auf Einkommen soll ein Einheitssteuersatz von 25 Prozent gelten (jetzt 14 bis 45 Prozent). Für die ersten 10000 Euro gelten Freibeiträge, die nächsten 10000 Euro werden gestaffelt, ab 20000 greift der volle Satz. Alle Ausnahmen werden abgeschafft, auch die Pendlerpauschale oder die Steuerfreiheit von Nacht- und Sonntagszuschlägen. Dafür wird der Arbeitnehmerpauschbetrag erhöht. Auch der ermäßigte Satz der Mehrwertsteuer soll kippen: Derzeit werden zum Beispiel Lebensmittel mit sieben statt 19 Prozent besteuert.

Wer zahlt drauf, wer profitiert? Großer Gewinner sind auf jeden Fall Gutverdiener: Bisher zahlen sie in der Spitze 45 Prozent, künftig nur noch 25 Prozent. Anders sieht es am unteren Ende aus, hier bleiben die Abzüge im besten Fall gleich: Ein Single mit 20000 Euro brutto würde laut FAZ drei Euro mehr zahlen als bisher. Hat jemand bisher seinen langen Arbeitsweg geltend gemacht oder hat er sonntags oder nachts gearbeitet, ist es unter dem Strich ein Minus. Laut Kirchhof soll das Konzept nicht mehr kosten als bisher.

Gibt es schon Erfahrungen in anderen Ländern? Das bekannteste Beispiel ist die Slowakei, die parallel zum EU-Beitritt eine Flat-Tax von 19 Prozent eingeführt hat und damit viele Investoren angelockt hat. Kehrseite: Die Lebenshaltungskosten sind wegen der Mehrwertsteuer-Erhöhung deutlich gestiegen, dabei war der Sprung nicht einmal so hoch wie in Deutschland. In anderen Ländern mit Flat Tax (Albanien, Mazedonien, Russland) zeigte sich, dass die Frage der Gerechtigkeit stark davon abhängt, ab wann die Flat Tax überhaupt greift und wie viel man als unangreifbares Existenzminimum vorher abziehen kann.

Wie stehen die Chancen? Kirchhof sagt, er sei „optimistisch”, dass sein Konzept bald umgesetzt wird. Es müsse zunächst gelingen, Medien und Bürger zu überzeugen, dann werde die Politik schon auch auf dieses Pferd setzen. Aus der FDP, die gerade eine eigene Steuerreform fordert, kam verhaltene Zustimmung: „Wir würden einen Gesetzentwurf der Union konstruktiv begleiten”, sagt Fraktionsvize Volker Wissing. Aus der CDU äußerten die Ost-Ministerpräsidenten Rainer Haseloff und Christine Lieberknecht Zustimmung. SPD und Grüne lehnen den Plan ab: alt und sozial unausgewogen, sagen sie. Das Kanzleramt hält sich vorerst bedeckt. 2005 hatte sich Merkel schon als schwarz-gelbe Kanzlerin gesehen. Auch in der Union wurde Kirchhof damals für den Einbruch verantwortlich gemacht. 

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