Keine feine Adresse!

"Umbenennung oder Erklärung? Wichtig ist ein stimmiges Vorgehen": Julia Lenders, AZ-Redakteurin, über historisch belastete Straßennamen.
von  Abendzeitung

"Umbenennung oder Erklärung? Wichtig ist ein stimmiges Vorgehen": Julia Lenders, AZ-Redakteurin, über historisch belastete Straßennamen.

Würden Sie gerne in einer Straße wohnen, deren Namensgeber ein brutaler Schreckensherrscher war? Der Frust der Anwohner in Trudering und Bogenhausen ist schon verständlich. Dank der neuen Erklärungstafeln, die der Stadtrat gestern beschlossen hat, ist jetzt für jeden Passanten mit einem Blick erkennbar, wer einst mit dem Straßennamen geehrt wurde. Und in einigen Fällen ist blitzschnell klar: Das ist keine feine Adresse!

Die bessere Lösung wäre deswegen wohl gewesen, einige Namen ganz zu tilgen. Natürlich nicht, um mit einer Umbenennung ein Stück Geschichte unsichtbar zu machen. Sondern einfach nur, weil die Namensgeber definitiv keine Ehrung verdient haben. Damals wie heute. Zum Beispiel Hans Dominik, der in Afrika ganze Dörfer dem Erdboden gleichmachen ließ. In seinem Fall entschied sich der Stadtrat nur für eine Erklärungstafel. Bei der Meiserstraße oder der Von- Trotha-Straße dagegen wurde eine Namensänderung angeordnet. Konsequent ist anders.

So oder so – mit der Entscheidung, die Kolonialstraßen in Trudering und Bogenhausen zu erklären, hat der Kommunalausschuss gestern auf jeden Fall einen Stein ins Rollen gebracht. Denn nun muss auch die Frage erlaubt sein, was mit kritischen Straßennamen in anderen Stadtteilen zu tun ist. Wenn schon Erklärungen, dann für alle. Was ist zum Beispiel mit der Treitschkestraße in Moosach? Sie ist benannt nach einem Historiker, von dem der Satz stammt: „Die Juden sind unser Unglück.“ Darf so jemandem eine Münchner Straße gewidmet sein? Eines hat die Debatte schon jetzt gezeigt: Geschichte verjährt nicht.

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