Kein Big Brother
Ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Ralph Hub über die zunehmende Zahl von Überwachungskameras in der Stadt.
Morgens, wenn ich aus dem Haus gehe, starrt mir die Kamera am Klingelschild nach, Kameras begleiten mich künftig auch in der S-Bahn, eine hängt sogar im Eingang zur Abendzeitung. Man hat sich an die Dinger gewöhnt, weil sie inzwischen (fast) überall präsent sind. Was aber nicht bedeutet, dass George Orwells Horrorvision vom „Big Brother“ tatsächlich Realität geworden wäre.
Fürchten muss man sich als ehrlicher Mensch vor ihnen nicht. Vater Staat lauert weder im Badezimmer seiner Bürger, noch ist er dabei, wenn manche abends vor der Glotze hocken und wildfremden Menschen in einer videokontrollierten Containersiedlung zusehen.
Überwachungskameras bergen eine ganz andere Gefahr. Sie verbreiten ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. Das mussten jetzt die Briten, Weltmeister in Sachen Videoüberwachung, einsehen. Ihre Kameras verhindern weder blutige Messerstechereien unter Jugendlichen, noch haben sie die Bombenleger von London abgeschreckt.
Zugegeben, Kameras erleichtern manchmal die Aufklärung von Straftaten. Die Schläger vom Arabellapark wären sonst vermutlich nie gefasst worden. Doch sie schützen eben nicht vor Gewalt! Die Amerikaner treiben den Überwachungsstaat in groteske Dimensionen. Zwei Millionen Menschen stehen auf ihrer Liste der Terrorverdächtigen. Keiner blickt mehr durch, deshalb stehen sogar Babys drauf. Hätten Innenminister Schäuble & Co freie Hand, wären wir in puncto Verfolgungswahn vermutlich schon genauso weit.
Der Autor ist Lokalredakteur der Abendzeitung