Kalkulierte Hysterie
"Was Union und SPD da aufführen, ist gleichermaßen verlogen": Die AZ-Redakteurin Anja Timmermann über die Aufgeregtheiten um die Nominierung von Gesine Schwan.
Zunächst: Es ist in einer Demokratie nichts Schlimmes oder Furchterregendes daran, wenn es mehr als einen Kandidaten bei einer Wahl gibt (das hat selbst die CSU letzten Herbst gemeistert). Und selbst bei der Kür des Staatsoberhauptes gab es das schon, dass Regierungspartner ohne Zeter und Mordio unterschiedliche Kandidaten aufgestellt haben. 1994 ist Roman Herzog für die Union angetreten und Hildegard Hamm-Brücher für die FDP (wie in diesem Fall zwei ehrenwerte Kandidaten) – und danach wurde noch friedvoll vier Jahre zusammen weiterregiert. Entsprechend heuchlerisch ist die kalkulierte Hysterie, die die Union nun aufführt.
Doch die Darbietungen der SPD sind genauso verlogen. Von wegen keine Taktik: Das glaubt doch kein Mensch, dass es ihr nur drum geht, die Nuancierungen in den Ansichten zur Globalisierung von Gesine Schwan und Horst Köhler herauszuarbeiten. Natürlich soll endlich mal wieder bewiesen werden, dass man nicht nur der unterwürfige Juniorpartner ist, der ewige Loser mit den miesen Umfragen im Schatten der Wohlfühl-Kanzlerin.
Spannend wird dagegen, wer wen wählt. Schwan hat dankenswert offen erklärt, dass sie weiß, dass sie die Linken braucht – und sie will. Na gut, wenn es denn tatsächlich mal eine ernsthafte Debatte über die Linken gibt, wer von ihnen nur dem Dumm-Populismus von Lafontaine hinterherläuft und wer von ihnen realistisch gestalten will wie es andere Linksparteien in Europa längst tun, auch nicht schlimm. Genauso wenig wie zwei Kandidaten.